„Jedes Land muss das Wohl der Erde an oberste Stelle setzen“

UNO Gebäude
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Ob Umwelt, Wirtschaft und Handel, Migration oder institutionelle Entwicklung: Die internationale Gemeinschaft steht vor beträchtlichen Herausforderungen. Auch die Schweiz ist gefordert, 15 Jahre nach dem UNO-Beitritt ihre Rolle zu überdenken: Will sie Brückenbauerin für eine bessere Welt sein? Was leistet sie, damit echte Lösungen zustande kommen? An der 1.Tagung Schweiz-UNO am 23. März 2018 diskutierten Vertreter_innen aus Wissenschaft, Politik, internationalen Organisationen und Zivilgesellschaft an der Universität Bern darüber, was zu tun ist.

Rund 15 Jahre nach dem Beitritt der Schweiz zur UNO fand die 1.Tagung Schweiz-UNO statt, organisiert vom World Trade Institute (WTI), dem Centre for Development and Environment (CDE) – beides Kompetenzzentren der Universität Bern – und der Gesellschaft Schweiz-UNO. Mit dabei waren über 20 Vertreter_innen aus Diplomatie, internationalen Organisationen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft.

Joseph Deiss
Joseph Deiss. © WTI

Joseph Deiss, alt Bundesrat und ehemaliger Präsident der UNO-Generalversammlung, erinnerte vor über 230 Zuhörenden an die Bedeutung, die der UNO-Beitritt für die Schweiz hatte. Und er unterstrich: «Die heutigen, globalen Probleme können nicht mehr von einzelnen Staaten – und mögen sie noch so mächtig sein – gelöst werden.» Es brauche neue Formen der globalen Regierungsführung. Dabei gehe es nicht um eine Weltregierung, sondern um den Konsens: «Jedes Land – auch die Schweiz – ist aufgerufen, das Wohl der ganzen Erde an oberste Stelle zu setzen.»

Emilia Pasquier
Emilia Pasquier (foraus). © WTI

Die Schweiz – mal Vorreiterin, mal Lehrling
Emilia Pasquier, Geschäftsführerin des Schweizer Think Tanks zur Aussenpolitik foraus, zeigte anhand der Gleichstellungspolitik, wie die Schweiz und die UNO gegenseitig voneinander lernen und profitieren können. Während die Schweiz ein gutes Beispiel für Partizipation und Innovation darstelle, sei unser Land nach wie vor ein Lehrling in Sachen Gleichstellung und Frauenrechte.

Global nachhaltige Entwicklung birgt Knacknüsse
Dass es im konkreten Fall äusserst anspruchsvoll ist, einen Konsens zwischen verschiedenen Interessen zu finden, verdeutlichten die vier anschliessenden Paneldiskussionen der 1. Schweiz-UNO-Tagung.  So fragte Prof. Thomas Breu, Direktor des CDE, ob die UNO der Herausforderung gewachsen sei, die planetaren Umweltgrenzen mit der Armutsbekämpfung – also mit Wirtschaftswachstum – in Einklang zu bringen. Denn dabei gebe es mehrere Interessenskonflikte. «Während die Schwellenländer in der Agenda 2030 einen zu starken Umweltbezug orten, gehen die Umweltziele westlichen Vertretern – insbesondere der Zivilgesellschaft – zu wenig weit», nannte er ein Beispiel.

Thomas Breu
Thomas Breu (CDE, Universität Bern). © WTI

Schweiz engagiert sich aus Eigeninteresse
In dieser Diskussion könne die Schweiz eine wichtige Rolle spielen und sich auch als kleines Land positionieren, zeigte sich Franz Perrez, Umweltbotschafter der Schweiz, überzeugt. So sei es ihr zum Beispiel im Pariser Klima-Abkommen gelungen, wichtige Prinzipien einzubringen – etwa, dass die Staatengemeinschaft ihre Ambitionen punkto Klimaziele nicht zurückschraubt. Die Motivation der Schweiz, sich auf internationaler Ebene für eine griffige Klimapolitik einzusetzen, entspringt laut Perrez fundamentalen Eigeninteressen – ökologischen wie wirtschaftlichen. Denn: «Wir sind überdurchschnittlich vom Klimawandel betroffen. Die damit verbundenen Probleme können wir aber nicht alleine lösen.»

Franz Perrez, Plenum
Franz Perrez (BAFU). © WTI

Beim Thema wirtschaftliche Entwicklung hakten Vertreter_innen mehrerer internationaler Organisationen ein: Es sei wichtig, Win-Win-Situationen zu schaffen, um unterschiedliche Interessen unter einen Hut zu bringen. Monica Rubiolo, Chefin Handelsförderung beim SECO, legte anhand des Programms «Better Work» dar, wie wirtschaftliche und soziale Aspekte vereinbar sind.

Monica Rubiolo
Monica Rubiolo (SECO). © WTI

Umfassende Migrations-Verhandlungen auf internationaler Ebene
Viel versprechende Ansätze dafür, wie Interessenskonflikte auf multinationaler Ebene angegangen werden können, gibt es derzeit im Bereich Migration: mit den beiden Global Compacts zu Migration und zu Flüchtlingen. In beiden Fällen handelt es sich um «Pakte», die noch 2018 verabschiedet werden. Sie bestehen aus einem Mix aus Leitlinien, Zielvorgaben und Verpflichtungen, welche die zwischenstaatliche Zusammenarbeit in der Migrations- und Flüchtlingspolitik verbessern sollen. Obwohl rechtlich nicht bindend, verspricht man sich davon, dass gewisse Best-Practices in der Migrations- und Flüchtlingspolitik vor allem auf regionalen Ebenen zu Rechts- und Schutzinstrumenten ausgebaut werden. «Es geht darum, einen Sockel an Menschenrechten zu definieren – egal, welchen legalen Status Migranten haben», brachte Pietro Mona, Schweizer Botschafter für Entwicklung, Flucht und Migration, das Ziel auf den Punkt.

Diskussion zum Global Compact on Migration (v.l.): Marion Panizzon (Institut für öffentliches Recht, Universität Bern), Pietro Mona (EDA), Geneviève Säuberli (OHCHR), Walter Kälin (Prof. em. Universität Bern), Sandra Lavenex (Global Studies Institute, University of Geneva). © WTI

Die Chance, mit den beiden Compacts auf internationaler Ebene die «illegale» und «legale» Migration umfassend zu verhandeln, sei einmalig, waren sich die Expert_innen einig. «Auch wenn wir derzeit keine global verbindliche Lösung erhalten, ist das ein echter Fortschritt», sagte etwa Walter Kälin, emeritierter Professor für Staats- und Völkerrecht an der Universität Bern.

Manfred Elsig
Manfred Elsig (WTI, Universität Bern), Lisa Isler (cinfo), Thomas Biersteker (Graduate Institute), Salman Bal (Political Affairs and Partnerships, UNO Genf), Thomas Gass (DEZA). © WTI

Schweiz hat Ideen – und Einfluss
In der von Manfred Elsig, Professor für internationale Beziehungen und stellvertretendem Direktor des WTI, geleiteten Schlussrunde kam die Rolle der Schweiz in der UNO noch einmal ausdrücklich zur Sprache. Salman Bal, Chef der Sektion Political Affairs and Partnerships am Genfer UNO-Sitz, sagte: «In der UNO hat jedes Land einen Sitz. Wenn man Einfluss haben will, zählen Ideen. Und die hat die Schweiz.» Thomas Gass, Vizedirektor und Chef des Bereichs Regionale Zusammenarbeit bei der DEZA, schloss sich dem an, merkte allerdings an: «Aber wir könnten noch vieles besser machen!»

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Joseph Deiss zur Rolle der Schweiz in der UNO im Tagesgespräch vom 23. März 2018, Radio SRF