Was war der Ausgangspunkt für Ihre Forschung?
Ein grosser Teil der noch vorhandenen tropischen Wälder befindet sich in Lateinamerika. Gleichzeitig liegt dort die Abholzungsrate weitaus höher als im weltweiten Durchschnitt. Einer der Hauptgründe dafür ist die Ausdehnung der Agrarflächen. Sie hat enorme Biodiversitätsverluste zur Folge, beeinträchtigt die Ökosystemfunktionen der Wälder und ist eine der wichtigsten Ursachen für den Klimawandel. Neueste Forschungsresultate zeigen, dass zwischen 20 und 25 Prozent der Treibhausgas-Emissionen auf Landnutzungsänderungen zurückgehen – darin inbegriffen die Umwandlung von Wald- in Agrarflächen.
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«Will man die Umwelt schützen, braucht es funktionierende öffentliche Institutionen»
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Das ist ein Teil. Der andere betrifft die soziale Ungleichheit, die in Lateinamerika besonders gross ist. Zahlreiche Studien belegen, dass eine grosse Ungleichheit sich auf vielerlei Arten nachteilig auf Gesellschaften auswirkt: Staaten, in denen die Ungleichheit hoch ist, schneiden meist bei mehreren sozialen Indikatoren schlecht ab; sie weisen höhere Kriminalitätsraten und Korruption auf, höhere Kindersterblichkeit, mehr Schwangerschaften im Teenager-Alter, etc. Und Ungleichheit wirkt sich auch auf die Umwelt negativ aus.
Inwiefern?
Ungleichheit beeinträchtigt die Zusammenarbeit und das kollektive Handeln und zersetzt die Institutionen, also die «Spielregeln», die es braucht, um öffentliche Güter – inklusive tropische Wälder – zu erhalten. Will man die Umwelt schützen, braucht es entsprechende Gesetze und funktionierende öffentliche Institutionen, die dafür sorgen, dass sie eingehalten werden. Wo die Korruption hoch ist, fehlt oft beides. In Lateinamerika besteht ein klarer Zusammenhang zwischen hoher sozialer Ungleichheit und Abholzung bzw. der Ausdehnung von Agrarflächen.
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«Technologie ist kein Allheilmittel»
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Soziale Ungleichheit ist eine Folge der Verteilung von Einkommen, Vermögen und Land. Welche Rolle spielen diese bei der Ausdehnung von landwirtschaftlich genutzten Böden?
Land ist der entscheidende Faktor, da er in diesem Zusammenhang den direktesten Einfluss hat. Wo der Landbesitz stark konzentriert ist, besteht die Gefahr, dass die Bevölkerung mangels Zugang zu Land in andere Gebiete abgedrängt wird. Argentinien ist ein eindrückliches Beispiel für diese Entwicklung: Die grossflächige Sojaproduktion der Agrarindustrie ist der Hauptgrund für die Entwaldung und hat Indigene und Kleinbäuerinnen und -bauern in periphere Regionen getrieben. In der Ökoregion des Chaco wirkt sich das jetzt auf die noch vorhandenen Wälder aus. Ähnliches geschieht in Brasilien: Wegen des Drucks der Sojaproduzenten dringt die Rinderzucht immer weiter in die Amazonasgebiete vor. In beiden Fällen fehlt es an Institutionen, die das verhindern.
Es wird oft argumentiert, dass man mit höherer Produktivität gleich viel oder sogar mehr Nahrungsmittel auf weniger Land herstellen könne. Ist es also nicht auch eine Frage der entsprechenden Technologie, die es braucht, um die Produktivität zu steigern?
Dieser Ansatz ist ziemlich verbreitet, greift aber zu kurz. Technologie alleine ist kein Allheilmittel. Im Gegenteil: Ohne klare Gesetzgebung zum Schutz der Wälder und starken politischen Instanzen, die sie umsetzen, kann sie zu noch mehr Zerstörung von Tropenwäldern führen. Denn je höher die Produktivität aufgrund besserer Technologien ist, umso rentabler wird es auch, Landwirtschaft zu betreiben und die entsprechenden Flächen auszudehnen. Meine Forschung hat gezeigt, dass die Qualität der Institutionen der entscheidende Faktor dafür ist, ob höhere Produktivität zu mehr oder weniger Agrarland führt. Kurz: Bessere Technologie ohne die notwendigen starken Institutionen ist, wie wenn man einen Ferrari ohne Lenkrad und Bremsen fahren würde.
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«Die Industriestaaten tragen eine grosse Mitverantwortung»
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Zum Beispiel?
Die formelle Anerkennung der Landrechte indigener Völker etwa führt eindeutig dazu, dass die Entwaldung in diesen Regionen abnimmt – und zwar selbst in Gebieten, die für die Landwirtschaft sehr geeignet wären. Um die Rolle von Institutionen im Sinne von «Regeln» und «Regelungen» zu verdeutlichen, kann man auch ein ganz anderes Beispiel nennen: Hungersnöte sind ja meist nicht das Resultat von tatsächlicher Lebensmittelknappheit, sondern die Folge eines Versagens der Institutionen, den Zugang und die Verteilung der vorhandenen Nahrung angemessen zu steuern. Deshalb ist es wichtig, die Ungleichheiten anzugehen. Sie verhindern, dass ein Land starke Institutionen aufbauen kann.
Lateinamerikas Landwirtschaft baut primär Güter für den Export an. Es handelt sich also nicht nur um ein hausgemachtes Problem…
Ja, es sind vor allem Agrarrohstoffe, die auf dem Weltmarkt gehandelt werden – allen voran Soja als Futtermittel. Wegen des weltweit gesteigerten Fleischkonsums können die lateinamerikanischen Staaten Einnahmen in US-Dollar erzielen. Die Fremdwährung brauchen sie, um ihre Schulden zu bedienen. Die Industriestaaten tragen an dieser Entwicklung eine grosse Mitverantwortung.
Was bedeutet das für die Politik? Welche konkreten Massnahmen bräuchte es?
Das Engagement von Philanthropen kann jenes von gut funktionierenden Institutionen nicht ersetzen. Meine Forschungsresultate stützen bereits vorliegende Erkenntnisse, dass Ungleichheit letztlich der Bereitstellung öffentlicher Güter, einschliesslich des Schutzes von Tropenwäldern, zuwiderläuft. Die Auswirkungen für die Politik liegen auf der Hand. Vor wenigen Tagen hat Oxfam in einem Bericht Zahlen zur Ungleichheit vorgelegt. Demnach besitzen 26 Menschen so viel wie die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung zusammen. Will man die Ungleichheit wirklich anpacken, braucht es progressive Einkommens- und Vermögenssteuern sowie höhere Grundstückssteuern. Denn eine gleichmässigere Verteilung von Einkommen, Vermögen und Land wäre nicht nur gerechter, sondern auch ein wirksames Mittel für einen besseren Schutz der Umwelt – Tropenwälder inklusive.