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«Weltweit stammen rund 95 Prozent unserer Nahrung direkt oder indirekt vom Boden»
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Gefährdet die zunehmende Bodenerosion unsere Ernährung?
Weltweit stammen rund 95 Prozent unserer Nahrung direkt oder indirekt vom Boden – und zwar von der obersten Schicht von 40 bis 50 Zentimetern. Davon hängen 80 bis 90 Prozent des irdischen Lebens ab. Weggeschwemmt, weggewindet, versalzen, chemisch oder biologisch degradiert ist Boden sehr rasch. Das kann an einem Einzelereignis liegen oder von jahrelanger Degradation herrühren. Um einen Zentimeter Boden wieder aufzubauen, dauert es je nach Klimazone jedoch 100 bis 300 Jahre. Das heisst: Wenn Boden weggeschwemmt oder degradiert wird, hat das selbstverständlich einen grossen Einfluss auf die Landwirtschaft und unsere Nahrungsketten, aber auch auf die Biodiversität und das Klima. Denn Boden kann viel Kohlestoff speichern, allerdings auch wieder freigeben – was dann die Klimaerwärmung weiter anheizt. Zudem ist Boden ein wichtiger Wasserspeicher. Er kann Überschwemmungen verhindern und das aufgenommene Wasser in Trockenperioden für Pflanzen verfügbar machen.
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«Wenn wir so weitermachen, können wir in 40 bis 60 Jahren die Weltbevölkerung nicht mehr ernähren»
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Um bei der Bodenfruchtbarkeit zu bleiben: Man kann man ja auch düngen.
Natürlich lässt sich mit Dünger kurzfristig viel kompensieren. Aber das geht – gerade wenn es Kunstdünger ist – nicht ewig, hält die Bodendegradation nicht auf und hat zudem negative Folgen für die Biodiversität und Wasserqualität. Die Statistik zeigt, dass global gesehen der Düngerverbrauch pro Hektar noch immer steigt, auch wenn er in einzelnen Ländern wie der Schweiz oder Deutschland seit ein paar Jahren zurückgeht. Bezieht man auch den Biodiversitätsverlust mit ein, zeigen einige Studien, dass wir mit unserer intensiven Landnutzung und Monokulturen noch 80 bis 120 Ernten zur Verfügung haben. Das würde bedeuten: Wenn wir so weitermachen, können wir bis in 40 bis 60 Jahren nicht mehr genug produzieren, um die Weltbevölkerung zu ernähren.
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«Die Landdegradation betrifft uns überall – auch in der Schweiz»
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Das UNO-Übereinkommen zur Bekämpfung der Wüstenbildung (UNCCD) gab im Oktober bekannt: «Wenn der derzeitige Trend anhält, müssen wir bis 2030 1,5 Milliarden Hektar degradierter Flächen sanieren.» Was sagen Sie dazu?
Es sieht tatsächlich nicht gut aus und der Trend geht definitiv noch immer in die falsche Richtung. Global, so die Schätzung, sind 20 bis 40 Prozent der Landflächen degradiert. Das betrifft fast die Hälfte der Weltbevölkerung direkt, wie die UNCCD in ihrem Global Land Outlook hervorgehoben hat.
Die UNCCD ist das einzige internationale Übereinkommen für die weltweite Erhaltung von Land. Sie findet aber leider noch immer deutlich weniger Beachtung als die beiden anderen Rio-Konventionen, das Klima- und das Biodiversitätsabkommen. Das mag auch mit der aus meiner Sicht unglücklichen Wortwahl Desertification, Wüstenbildung, zusammenhängen. In unseren Breitengraden haben dann viele das Gefühl: Das betrifft uns nicht, die nächste Wüste ist ja weit entfernt. Eigentlich geht es aber um Landdegradation – inklusive Boden, Wasser und Vegetation – bzw. darum, diese zu verhindern oder rückgängig zu machen. Das betrifft uns überall – auch in der Schweiz.
Wie stark ist die Schweiz davon betroffen?
Je nach Datenquelle sind in der Schweiz heute nahezu 10 Prozent der Gesamtfläche degradiert und rund 20 Prozent der Ackerflächen gelten als erosionsgefährdet. Dazu kommt, dass auch bei uns Trockenheit und Überschwemmungen – zwei wichtige Treiber für Landdegradation – zunehmen. Darauf müssen wir reagieren.
Wie?
Die UNCCD orientiert sich an den folgenden Möglichkeiten und zwar in dieser Reihenfolge: Degradation vermeiden, Erosion reduzieren und Böden wiederherstellen. Weil der Aufwand unvergleichlich viel grösser ist, etwas rückgängig zu machen, als neue Schäden zu vermeiden, müssen wir in unseren Breitengraden bei der Landnutzung primär darauf achten, Erosion gar nicht erst entstehen zu lassen.
Was heisst das konkret?
Wir müssen uns zum Beispiel fragen: Produzieren wir unsere Pflanzen weiterhin intensiv und auf «nackter» Erde oder erhöhen wir die Bodenbedeckung, damit die Böden nicht austrocknen? Setzen wir immer mehr Dünger ein und gefährden unsere Biodiversität und unser Trinkwasser oder stellen wir auf nachhaltigere Anbaumassnahmen um? Bewässern wir unsere Felder weiterhin, bis unsere Flüsse kein Wasser mehr haben oder bauen wir Arten an, die weniger Wasser brauchen? Noch haben wir die Wahl und den Spielraum, um unser Landmanagement umzustellen und an die Klimaveränderung anzupassen.
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«Das Interesse, Massnahmen einzuleiten, hat in einigen Regionen zugenommen»
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Sie haben kürzlich an einem internationalen Meeting teilgenommen, bei dem überprüft wurde, wie weit die Länder bei der Umsetzung des UNCCD-Übereinkommens sind…
Dieses Committee for the Review of the Implementation of the Convention CRIC findet jedes Jahr statt, um die Berichte zu erörtern, die zeigen, was der Stand der Dinge in den jeweiligen Ländern ist. 2023 hat man gesehen, dass nicht alle Länder, die sich Ziele punkto Landdegradation setzten, über die letzte Periode berichtet haben. Und der Qualitätsunterschied zwischen den Berichten der Länder, die rapportiert haben, ist immens.
Bedeutet das, dass wenig bis nichts passiert?
Nein, es passiert schon etwas, wenn auch noch nicht ausreichend. Immerhin wächst in einigen Regionen das Interesse, die Landdegradation auf nationaler Ebene zu monitoren und Massnahmen zu ergreifen, um sie zu verhindern, zu verlangsamen oder rückgängig zu machen. Im November haben wir am CRIC in Samarkand zum ersten Mal nicht nur über Methoden und Indikatoren gesprochen, sondern auch über Ergebnisse. Es gibt jetzt auch ein Daten-Dashboard der UNCCD (siehe Box), das zeigt, wie die Länder rapportiert haben und wie es um die globale Landdegradation steht. Diese Transparenz macht die Konvention zugänglicher, und wir können uns damit befassen, wie sich die globale Kommunikation verbessern und der Ernst der Lage betonen lässt.