«Nachhaltigkeitsinitiativen sind wichtige Kräfte für den Wandel»

«Es nützt ja sowieso nichts, wenn ich mein Konsum- oder Mobilitätsverhalten ändere.» Angesichts der heutigen Krisen fühlen wir uns oft hilflos und überfordert. Jetzt zeigt ein neues Buch von CDE-Wissenschaftler*innen, wie gesellschaftliche Nachhaltigkeitsinitiativen hier ein Gegengewicht schaffen können. Die Erkenntnisse dienen als Inspiration für alle, die sich für eine zukunftsfähige Gesellschaft einsetzen. Und sind eine «Etappe auf dem Weg zu einem ressourcenleichteren Leben», wie Stephanie Moser, eine der Autor*innen, sagt.

Stephanie Moser
«Die Rahmenbedingungen müssen so verändert werden, dass es den Menschen leichter fällt, ökologischer zu leben»: Stephanie Moser. Foto: Marion Nitsch, Lunax


Interview: Gaby Allheilig

Viele Menschen sind besorgt über den Zustand der Umwelt, aber trotzdem nicht bereit, ihren eigenen Konsumstil zu ändern. Wie soll man so zur nötigen Trendwende beim Ressourcenverbrauch kommen?

Auf der Suche nach einem Weg aus dem Überkonsum, den wir in reichen Ländern wie der Schweiz aufweisen, wird die Hauptverantwortung vielfach auf die Konsumierenden geschoben: Mit Informations-, Sensibilisierungskampagnen bis hin zu Energiesparappellen versucht man, die Menschen zu nachhaltigerem Konsum zu motivieren. Dabei wird oft ignoriert, dass solche Alternativen in der Regel nach wie vor teurer und mit mehr Aufwand verbunden sind. Hinzu kommt, dass viele den Beitrag unterschätzen, den sie mit ihren Konsumentscheidungen selbst leisten können – und die Verantwortung bei anderen suchen.

Deshalb müssen die Rahmenbedingungen so verändert werden, dass es den Menschen leichter fällt, ökologischer zu leben; also dass die nachhaltigere Option eines Konsumentscheids zur einfachsten, naheliegendsten und attraktivsten Variante wird.

Heisst das Gesetze verschärfen, mehr Anreize schaffen, auf neue Technologien setzen?

All diese Bestrebungen sind nötig, reichen aber für sich genommen nicht aus. Um Gesetze zu ändern oder Emissionsgrenzwerte zu verschärfen, braucht es eine breite gesellschaftliche Akzeptanz. Diese ist meist schwer zu erreichen, wenn neue Regelungen den eigenen Konsum beschränken. Auch mit technologischem Fortschritt allein wird es nicht möglich sein, dass wir bei Produktion und Konsum ein nachhaltiges Niveau erreichen. Denn die Art, wie wir produzieren und konsumieren, durchdringt und prägt fast sämtliche Lebens-, Wirtschafts- und Politikbereiche. Deshalb müssen wir all diese Bereiche zusammen und aufeinander abgestimmt in Richtung Nachhaltigkeit entwickeln und einen gesellschaftlichen Wandel anstossen. Konsumorientierte Nachhaltigkeitsinitiativen stellen dabei eine wichtige Triebkraft dar.

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«Gesellschaftlicher Wandel entsteht, indem man mit neuen Ideen experimentiert»

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Wie soll das funktionieren?

Ein solcher Prozess ist sicher komplex. Aber in der Forschung wird häufig eine Mehrebenen-Perspektive verwendet, die hier ein hilfreiches Denkschema liefert. Demzufolge entsteht gesellschaftlicher Wandel, indem man mit neuen Ideen experimentiert. Genau das findet in Nischen mit sogenannten sozialen Innovationen statt, die nicht primär technischer Natur sind, sondern neue Formen des Wirtschaftens ausprobieren – sei das mit nachhaltigen Produkten, Dienstleistungen, Geschäftsmodellen oder neuen Arten der Zusammenarbeit. Dieser Sektor entwickelt sich mit einer unglaublichen Dynamik. So sind in den letzten Jahren mit Repair-Cafés, Unverpacktläden, Energiegenossenschaften, Fahrradleihsystemen, Tausch- und Sharingbörsen, etc. sehr viele attraktive Alternativen zu den bisherigen Konsumoptionen entstanden, zumindest in urbanen Regionen.

Sie sagen es selbst: Es handelt sich um Nischen. Damit lässt sich unser übermässiger Konsum wohl kaum eindämmen.

Ich habe auch erst von der ersten Phase gesprochen. Während dieser poppen kreative Ideen auf und engagierte Menschen tüfteln etwas aus, handeln aber noch oft isoliert. Gelingt es ihnen, aus der Startup-Phase zu kommen, finden sie oft Nachahmer*innen und expandieren. Mit der Zeit bilden sich in dieser zweiten Phase informelle Netzwerke. Oder es entstehen Dachverbände, wo Erfahrungen ausgetauscht werden und eine gewisse Abstimmung stattfindet. In einer dritten Phase wird eine Innovation so stark, dass sie in Konkurrenz zu der vorherrschenden Konsumvariante tritt. Und im Idealfall kommt es dann zu Phase vier: Die Ideen und Impulse solcher Bewegungen werden zum neuen Normalzustand.

Phasen der Verbreitung von Innovationen aus Nachhaltigkeitsinitiativen (eigene Darstellung in Anlehnung an die Mehrebenenperspektive von Geels, 2019, S.191)


Gibt es dafür konkrete Beispiele?

Nehmen wir die Unverpacktläden: Es ist anzunehmen, dass diese Bewegung einen Beitrag zu einem gesellschaftlichen Bewusstsein der Plastikproblematik geleistet hat. Das hat nicht nur Grossverteiler wie Migros oder Coop dazu gebracht, teils unverpackte Waren anzubieten, sondern auch die gesellschaftliche Akzeptanz für ein EU-weites Plastikverbot geebnet. Ein anderes Beispiel ist das Recht auf Reparatur, welches das EU-Parlament im April 2024 angenommen hat. Auch das ist nicht nur, aber auch eine Antwort auf die Bewegung rund um Repair-Cafés und ähnlichen Initiativen. Es ist ihnen gelungen, Impulse für die politische Ebene zu geben.

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«Scheitern und neu anpacken ist allemal besser als nichts tun»

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Etliche dieser Initiativen verschwinden aber auch wieder.

Ja, es gibt Angebote oder Modelle, die sich nicht bewährt haben. Aber auch wenn etwas nicht funktioniert, ist das eine wichtige Erfahrung, aus der andere lernen können. Scheitern und neu anpacken ist allemal besser als nichts tun. Tatsache ist aber auch, dass solche Initiativen schnell einmal vor grossen Herausforderungen und Hindernissen stehen.

In dem Forschungsprojekt, das dem Buch zugrunde liegt, haben Sie mit Ihrem Team viele solcher Initiativen untersucht. Welches sind die wichtigsten Hürden, die diese Initiativen zu meistern haben?

In unseren Gesprächen mit Initiant*innen und Unterstützenden haben sich vier grosse Herausforderungen herauskristallisiert: die Beschaffung von genügend finanziellen und nichtfinanziellen Mitteln, die Wahl der Rechtsform, die interne Organisation und der eigenen Professionalisierung sowie die Aufgabe, in Netzwerken, Interessenvertretungen und Lobbying gemeinsam die Rahmenbedingungen zu verändern. In unserem Buch befassen wir uns eingehend mit diesen Fragen und zeigen dazu gute und hilfreiche Beispiele aus der Praxis.

Wieso ist es eine ihrer Aufgaben, die Rahmenbedingungen zu ändern?

Nachhaltigkeitsinitiativen betreten Neuland. Im Zentrum ihres Wirtschaftens steht nicht der Profit, sondern sie wollen eine Lösung für ein gesellschaftliches Problem bereitstellen. Gleichzeitig müssen sie zusehen, dass sie wirtschaftlich bestehen können. Auf solche neuen Ideen sind die Rahmenbedingungen wie die klassische Start-up-Förderung oft nur unzureichend zugeschnitten. Das erschwert die Umsetzung. So stellt sich beispielsweise in der Schweiz die Frage, ob es nicht eine neue Rechtsform braucht, die auf eine Kombination von wirtschaftlicher und ideeller Wirkungsorientierung im Sinne eines gemeinwohlorientierten Unternehmertums ausgerichtet ist.

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«Es ist wichtig, die Erfahrungen zugänglich zu machen, damit neue Initiativen nicht bei Null starten müssen»

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Haben diese Initiativen überhaupt die Kapazitäten, sich auch dafür noch zu engagieren?

Vielfach fehlt es an Zeit und Wissen, um sich über das Alltagsgeschäft hinaus dafür einzusetzen, geeigneten Rahmenbedingungen zu schaffen – zum Beispiel für entsprechende Bewilligungsverfahren, Mietvergünstigungen oder gemeinsame Plattformen für den Erfahrungsaustausch. Die Wirtschaftskammer für soziale und solidarische Wirtschaft «après» in Genf zeigt, in welche Richtung es gehen kann: Sie fördert kollektive ökologische und sozialverträgliche Initiativen unter anderem mit einem «Starter Kit» für Neugründungen, günstigen Darlehen für ihre Mitglieder, aber auch mit Lobbying und Interessensvertretung auf kantonaler und regionaler Ebene. Solche Organisationen bräuchte es vermehrt – und es stellt sich die Frage, ob die öffentliche Hand in diesem ganzen Bereich nicht auch eine Rolle spielen sollte.

Und was bezwecken Sie mit dem Buch über diese Initiativen?

Aus unserer Sicht ist es wichtig, aus all den Erfahrungen zu lernen, die bereits vorhanden sind, und dieses Wissen zugänglich zu machen, damit nicht jede neue Initiative und all die Menschen, die mit viel Herzblut etwas anstossen und sich engagieren möchten, bei Null starten müssen. Zudem möchten wir mit dem Buch das Verständnis von Unterstützern und Fördergeberinnen – wie Gemeinden oder Stiftungen – für die spezifischen Bedürfnisse von Nachhaltigkeitsinitiativen schärfen. Deshalb ist es uns ein Anliegen, Erfahrungen zu porträtieren, in den Kontext zu setzen und öffentlich zu machen, so dass ein gemeinsamer sozialer Lernprozess entstehen kann. Das in dem Buch vermittelte Wissen versteht sich auch nicht als Abschluss, sondern als Etappe auf dem Weg zu einem ressourcenleichteren Leben.

Das Buch

book cover

Zivilgesellschaftliche Nachhaltigkeitsinitiativen in der Schweiz: Impulse für eine gesellschaftliche Transformation

Zivile Initiativen leisten durch das Experimentieren mit sozialen Innovationen einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung. Das Buch erkundet die transformative Kraft solcher Nachhaltigkeitsinitiativen in der Schweiz und gibt Einblick in alltägliche Schwierigkeiten und Herausforderungen. Die gesammelten Erkenntnisse und Anregungen bieten wertvolle Lösungshinweise für konkrete Probleme.