Gibt es dafür konkrete Beispiele?
Nehmen wir die Unverpacktläden: Es ist anzunehmen, dass diese Bewegung einen Beitrag zu einem gesellschaftlichen Bewusstsein der Plastikproblematik geleistet hat. Das hat nicht nur Grossverteiler wie Migros oder Coop dazu gebracht, teils unverpackte Waren anzubieten, sondern auch die gesellschaftliche Akzeptanz für ein EU-weites Plastikverbot geebnet. Ein anderes Beispiel ist das Recht auf Reparatur, welches das EU-Parlament im April 2024 angenommen hat. Auch das ist nicht nur, aber auch eine Antwort auf die Bewegung rund um Repair-Cafés und ähnlichen Initiativen. Es ist ihnen gelungen, Impulse für die politische Ebene zu geben.
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«Scheitern und neu anpacken ist allemal besser als nichts tun»
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Etliche dieser Initiativen verschwinden aber auch wieder.
Ja, es gibt Angebote oder Modelle, die sich nicht bewährt haben. Aber auch wenn etwas nicht funktioniert, ist das eine wichtige Erfahrung, aus der andere lernen können. Scheitern und neu anpacken ist allemal besser als nichts tun. Tatsache ist aber auch, dass solche Initiativen schnell einmal vor grossen Herausforderungen und Hindernissen stehen.
In dem Forschungsprojekt, das dem Buch zugrunde liegt, haben Sie mit Ihrem Team viele solcher Initiativen untersucht. Welches sind die wichtigsten Hürden, die diese Initiativen zu meistern haben?
In unseren Gesprächen mit Initiant*innen und Unterstützenden haben sich vier grosse Herausforderungen herauskristallisiert: die Beschaffung von genügend finanziellen und nichtfinanziellen Mitteln, die Wahl der Rechtsform, die interne Organisation und der eigenen Professionalisierung sowie die Aufgabe, in Netzwerken, Interessenvertretungen und Lobbying gemeinsam die Rahmenbedingungen zu verändern. In unserem Buch befassen wir uns eingehend mit diesen Fragen und zeigen dazu gute und hilfreiche Beispiele aus der Praxis.
Wieso ist es eine ihrer Aufgaben, die Rahmenbedingungen zu ändern?
Nachhaltigkeitsinitiativen betreten Neuland. Im Zentrum ihres Wirtschaftens steht nicht der Profit, sondern sie wollen eine Lösung für ein gesellschaftliches Problem bereitstellen. Gleichzeitig müssen sie zusehen, dass sie wirtschaftlich bestehen können. Auf solche neuen Ideen sind die Rahmenbedingungen wie die klassische Start-up-Förderung oft nur unzureichend zugeschnitten. Das erschwert die Umsetzung. So stellt sich beispielsweise in der Schweiz die Frage, ob es nicht eine neue Rechtsform braucht, die auf eine Kombination von wirtschaftlicher und ideeller Wirkungsorientierung im Sinne eines gemeinwohlorientierten Unternehmertums ausgerichtet ist.
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«Es ist wichtig, die Erfahrungen zugänglich zu machen, damit neue Initiativen nicht bei Null starten müssen»
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Haben diese Initiativen überhaupt die Kapazitäten, sich auch dafür noch zu engagieren?
Vielfach fehlt es an Zeit und Wissen, um sich über das Alltagsgeschäft hinaus dafür einzusetzen, geeigneten Rahmenbedingungen zu schaffen – zum Beispiel für entsprechende Bewilligungsverfahren, Mietvergünstigungen oder gemeinsame Plattformen für den Erfahrungsaustausch. Die Wirtschaftskammer für soziale und solidarische Wirtschaft «après» in Genf zeigt, in welche Richtung es gehen kann: Sie fördert kollektive ökologische und sozialverträgliche Initiativen unter anderem mit einem «Starter Kit» für Neugründungen, günstigen Darlehen für ihre Mitglieder, aber auch mit Lobbying und Interessensvertretung auf kantonaler und regionaler Ebene. Solche Organisationen bräuchte es vermehrt – und es stellt sich die Frage, ob die öffentliche Hand in diesem ganzen Bereich nicht auch eine Rolle spielen sollte.
Und was bezwecken Sie mit dem Buch über diese Initiativen?
Aus unserer Sicht ist es wichtig, aus all den Erfahrungen zu lernen, die bereits vorhanden sind, und dieses Wissen zugänglich zu machen, damit nicht jede neue Initiative und all die Menschen, die mit viel Herzblut etwas anstossen und sich engagieren möchten, bei Null starten müssen. Zudem möchten wir mit dem Buch das Verständnis von Unterstützern und Fördergeberinnen – wie Gemeinden oder Stiftungen – für die spezifischen Bedürfnisse von Nachhaltigkeitsinitiativen schärfen. Deshalb ist es uns ein Anliegen, Erfahrungen zu porträtieren, in den Kontext zu setzen und öffentlich zu machen, so dass ein gemeinsamer sozialer Lernprozess entstehen kann. Das in dem Buch vermittelte Wissen versteht sich auch nicht als Abschluss, sondern als Etappe auf dem Weg zu einem ressourcenleichteren Leben.