Interview: Gaby Allheilig
Das Inventar ist gemacht, die Wissenschaft hat die Probleme dieser Welt weitgehend beschrieben. Was kann sie jetzt dazu beitragen, damit die Erkenntnisse rascher ins Handeln einfliessen?
Ein vielversprechender Weg ist die transdisziplinäre Forschung, also die gemeinsame Wissensproduktion von Wissenschaft, Entscheidungsträgern und Anspruchsgruppen aus Zivilgesellschaft und Wirtschaft. Sie findet heute schon in bestimmten gesellschaftlichen und geografischen Kontexten statt, sei es bei der Nutzung von Wasser im Wallis oder von Land in Myanmar.
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«Fallstudien sind sehr wertvoll, lassen sich aber nicht ohne Weiteres übertragen»
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Wo ist dann das Problem?
Die gewonnenen Einsichten sind vor Ort zwar sehr wertvoll, weil sie einem bestimmten Kontext angepasst sind und konkrete Lösungsansätze für eine nachhaltige Entwicklung vorstellen. Aber sie lassen sich nicht ohne Weiteres auf andere Regionen übertragen.
Warum?
Es sind Fallstudien. Diese liefern keine allgemeingültigen Muster, wie ein Problem entsteht und sich lösen lässt. Demgegenüber gibt es viele konventionelle Methoden, die nach dem Modell schlechthin suchen, das ein Phänomen über alle Einzelfälle hinweg beschreibt. Sie haben allerdings den Nachteil, dass sie meist abstrakt bleiben, weil dabei das Spezifische eines Kontexts verloren geht. Als Entscheidungsgrundlage für eine nachhaltige Entwicklung braucht es jedoch immer kontextgerechtes Wissen verbunden mit globalen Lernprozessen.
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«Das Ziel ist, Innovationen und geeignete Handlungsmöglichkeiten zu gewinnen»
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Deshalb arbeiten wir mit Archetypen. Mit ihnen können detaillierte Erfahrungen aus Einzelfallstudien ausgewertet und für andere Regionen nutzbar gemacht werden. Das Ziel ist ja, Innovationen und geeignete Handlungsmöglichkeiten zu gewinnen.
Worum handelt es sich bei der Archetypen-Forschung?
Archetypen sind Prozesse und Dynamiken, die wiederholt in verschiedenen, ganz konkreten Situationen auftreten. So gibt es beispielsweise weltweit zahlreiche Einzelfallstudien zu Land- oder Wassernutzung, so auch in der Schweiz, Bolivien und Kenia. Auf den ersten Blick erscheinen sie sehr spezifisch. Tatsächlich weisen sie aber auch Gemeinsamkeiten auf. Um diese zu finden, zerlegen wir die Einzelfälle in typische Prozesse – quasi in Legobausteine. Mit dem Archetypenansatz suchen wir nach Mustern in diesen Bausteinen. Hat man sie identifiziert, kann man Aussagen über Prozesse und Dynamiken machen, die detailliert sind und sich trotzdem verallgemeinern lassen. Auf dieser Grundlage lässt sich das entsprechende Wissen aus verschiedenen Kontexten und Regionen auf andere übertragen.
Können Sie das veranschaulichen?
Nehmen wir das Mosaik, das im Dom von Speyer vor rund zehn Jahren zu sehen war. Kinder haben auf Kacheln einzelne Zeichnungen gemacht, die zusammen ein grosses Bild ergeben. Jede Kachel ist einzigartig. Dennoch lassen sich gewisse Muster erkennen, etwa in der Farbgebung oder in der Wiederholung gewisser Sujets wie Schmetterlinge, Gesichter, Sonnenblumen, etc. Diese Muster entsprechen den Archetypen.