«Kleine Wälder in Westafrika sind ihrer Zusammensetzung einzigartig»

Geänderte Landnutzungen setzen tropische Wälder weltweit unter Druck. Dabei wird das Potenzial von kleineren Waldflächen für Biodiversität und Klimaschutz meist unterschätzt – auch in den stark fragmentierten Agrarlandschaften Westafrikas. Ein ERC-Forschungsprojekt von Chinwe Ifejika Speranza, Professorin am Geographischen Institut der Uni Bern und Mitglied des CDE-Boards, zeigt jetzt deren Bedeutung auf.

Chinwe Ifejika Speranza
«Unsere Forschung hat klar gezeigt, dass Wälder dort, wo es intakte lokale Institutionen gibt, in einem besseren Zustand sind als dort, wo diese fehlen»: Chinwe Ifejika Speranza. Foto: ga


Interview: Gaby Allheilig

Sie haben zusammen mit Ihrem Team in vier westafrikanischen Ländern mehrere Waldfragmente in Savannen- und Regenwaldzonen Westafrikas untersucht und analysiert, welche Rolle diese für die biologische Vielfalt, aber auch für die lokale Bevölkerung spielen. Was hat Sie dazu inspiriert?

Bei meinen früheren Reisen und Forschungsarbeiten in stark fragmentierten Agrarlandschaften Westafrikas sind mir viele kleinere Wälder aufgefallen, die sich trotz des offensichtlich grossen Landwirtschaftsdrucks zu behaupten schienen. Diesem Phänomen wollte ich im Umfeld des beschleunigten Verschwindens und der Degradierung von Wäldern in Westafrika nachgehen. In Gesprächen beklagten lokale Gemeinschaften diese Entwicklung, weil die Wälder wichtig für ihren Lebensunterhalt und ihre Ernährungssicherheit sind. Zudem bieten sie Lebensräume für viele einheimische Arten, von denen etliche bedroht sind. Solche kleinen Wälder erfüllen somit wichtige ökologische Funktionen, erhalten jedoch trotz ihrer Relevanz kaum Aufmerksamkeit von Wissenschaft und Politik.

Diese Ausgangslage hat den Anstoss zu diesem Projekt gegeben. Mit ihm will ich herausfinden, wie die Dynamiken verlaufen und unter welchen Bedingungen solche Waldgebiete eine Zukunft haben.

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«Die Konnektivität der Wälder ist wichtig für die Wanderung von Wildtieren»

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In den globalen Betrachtungen und Bestandesaufnahmen zur Waldveränderung kommen Wälder unter 1000 Hektar nicht vor. Warum fallen sie aus den Traktanden, obschon das Thema der Waldzerstörung Konjunktur hat?

Im Vergleich mit den grossen Regenwäldern im Kongobecken oder am Amazonas sind sie für die meisten Studien zu klein. Dabei machen Wälder unter 1000 Hektar in den vier Ländern, in denen wir arbeiten – Togo, Benin, Nigeria und Kamerun – zusammen ungefähr 24'000 Quadratkilometer aus. Das ist etwas mehr als die halbe Fläche der Schweiz. So betrachtet, tragen die kleinen Wälder – auch wenn sie fragmentiert sind – sicher zur Biodiversität bei und dienen auch als Kohlenstoffsenken. Aus Sicht der Biodiversität gilt es natürlich auch zu schauen, ob und wie diese Wälder miteinander verbunden sind. Das ist wichtig, weil die Konnektivität unter anderem die Wanderung von Wildtieren ermöglicht.

Offenbar gibt es sehr viele solche Mini-Wälder in Westafrika. Wie hoch schätzen Sie deren gesamtes Potenzial punkto Biodiversität und Klimawirkung ein?

An dieser Analyse arbeiten wir noch. Wir haben zuerst 420’464 Waldfragmente zwischen 0,5 und 1000 Hektar identifiziert und ihren Flächen- und Bestandesverlust zwischen 2000 und 2022 quantifiziert.

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Inventar der Waldflächen zwischen 0,5 und 1000 ha in Togo, Benin, Nigeria und Kamerun (Screenshot). Für Details: Klick auf die Karte. Quelle: https://www.sustainforests.giub.unibe.ch/forest-inventory-map


Während die Zahl an kleinen Wäldern insgesamt um zwei Prozent sank, fiel der Flächenverlust mit sechs Prozent noch mehr ins Gewicht. Wir haben auch die Strukturen von neun ausgewählten Wäldern untersucht. Dabei hat sich erwartungsgemäss herausgestellt, dass die Wälder in den trockenen Savannen von Togo und Benin lichter sind als die Fragmente in den tropischen Gebieten von Nigeria und Kamerun. Das erklärt sich mit dem Klima und nicht mit der Bewirtschaftung. Und es hat sich noch etwas gezeigt.

Nämlich?

Dass diese Wälder in ihrer Zusammensetzung an Baumarten einzigartig sind. Zwar haben wir die neun Waldfragmente in Westafrika bewusst wegen ihrer unterschiedlichen Typologien ausgewählt – von Savannenwäldern über Sumpfwälder bis hin zu den Tieflandwäldern des Kongobeckens. Will man aber die Biodiversität erhalten, sollte man nicht einfach Schutzgebiete ausscheiden, sondern darauf achten, welche Baumarten-Zusammensetzung typisch für eine Region ist, wie die Menschen mit den Wäldern in Beziehung stehen – und entsprechend mehrere Gebiete schützen.

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«Der Erhalt der Wälder hat sehr viel mit den Menschen zu tun, die dort leben»

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Ist es demnach auch eines Ihrer Ziele, dass diese Fragmente unter Naturschutz gestellt werden?

Nicht formell, indem die Regierungen Schutzgebiete einrichten. Vielmehr muss man mit den lokalen Gemeinschaften zusammenarbeiten. Denn dass diese Wälder noch vorhanden sind, hat sehr viel mit den Menschen zu tun, die dort leben und arbeiten, sowie mit ihren Zukunftsvisionen für diese Wälder.

Ihre bisherigen Untersuchungen haben ergeben, dass sich die Waldstruktur in sieben der neun Waldfragmente über die letzten Jahre verschlechtert hat. Nur zwei sind von menschlichen Einflüssen verschont geblieben. Was führt dazu, dass sich die einen positiv, die andern negativ entwickeln?

Die beiden Wälder, die weder an Fläche noch wesentlich an Qualität eingebüsst haben, waren heilige Wälder und Kultstätten. Der Zugang zu ihnen ist durch verschiedene traditionelle Normen und Institutionen geregelt. So dürfen zum Beispiel Nicht-Eingeweihte den geweihten Teil solcher Wälder nicht betreten. In einem Fall fliesst ein heiliger Fluss durch den Wald und bildet so eine natürliche Grenze, die auch das Fällen von Bäumen stark erschwert.

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Links: Intakter, heiliger Wald. Foto: Chinwe Ifejika Speranza ǀ Rechts: Degradiertes Waldstück. Foto: Samuel Hepner


Das heisst, traditionelle religiöse Vorstellungen und Werte beeinflussen den Zustand der Wälder?

Ja, aber nicht überall in gleichem Masse. Auch Unzugänglichkeit und Abgeschiedenheit können menschliche Störungen verringern. Zudem haben wir einen weiteren Wald untersucht, der teilweise heilig und trotzdem stark degradiert ist. Dort gibt es Unklarheiten über die Besitzverhältnisse, was möglicherweise ein Grund für die menschlichen Eingriffe ist.

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«Im den traditionellen westafrikanischen Systemen gehört das Land meistens der Gemeinschaft»

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Wie das?

In Westafrika gibt es drei verschiedene Systeme von Landrechten, die sich teilweise überlappen. In den traditionellen westafrikanischen Systemen gehört Land meistens keiner Person oder Familie, sondern der Gemeinschaft. Diese kann Nutzungsrechte vergeben. Im Zuge der Kolonialisierung Westafrikas durch Grossbritannien und Frankreich hielt der individuelle Landbesitz Einzug. Nach Ende der Kolonialherrschaft haben die westafrikanischen Länder das britische bzw. französische Rechtssystem mit Anpassungen übernommen. Weil aber das traditionelle Recht – je nach Region und in unterschiedlichem Grad – immer noch eine Rolle spielt, kann es zu Mischformen kommen. Das kann zu Unklarheiten führen, die es ermöglichen, dass Einzelne die Regeln in ihrem eigenen Interesse auslegen.

Neben den Auswirkungen für die Umwelt haben Sie in Ihrer Forschung auch die Relevanz der Waldfragmente für die lokalen Lebensbedingungen unter die Lupe genommen. Können solch kleine Wälder tatsächlich wesentlich zu den Lebensgrundlagen beitragen?

Ja, denn sie liefern der lokalen Bevölkerung Nahrung. Neben Früchten, Wildfleisch, Fisch oder Muscheln sind auch bestimmte Gemüse zu nennen wie Afang (Gnetum africanum), Gewürze wie der westafrikanische Schwarzpfeffer (Piper guineense) oder Heilpflanzen wie das grossblättrige Mahagoni (Khaya grandifoliola) oder das senegalesische Mahagoni (Khaya senegalensis). Dieses wird gegen Malaria, bakterielle Infektionen, etc. eingesetzt. Manche dieser Produkte gedeihen nur an bestimmten Orten im Wald und können entsprechend nur dort gesammelt werden. Sie sind ein wichtiger Bestandteil der lokalen Ernährung und medizinischen Versorgung.

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«Die lokalen Bewirtschaftungsformen müssen anerkannt und unterstützt werden»

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Im Februar haben Sie eine Konferenz zu den bisherigen Forschungsresultaten organisiert. Daran haben auch Botschaftsvertrer*innen zweier Länder, in denen Sie Waldfragmente untersucht haben, teilgenommen. Welche politische Bedeutung hat das Projekt für diese Staaten?

Wenn über Wälder und Waldrodung gesprochen wird, interessiert das die Behörden. Denn die Thematik steht auch in Zusammenhang mit Agrargütern wie Kakao, Kautschuk oder Palmöl, die exportiert werden. Und mit der neuen EU-Verordnung für entwaldungsfreie Produkte ist sie hochaktuell. Unsere Ergebnisse sind für die Behörden auch nützlich, weil sie die Herausforderungen veranschaulichen, die mit den Beziehungen zwischen Landwirtschaft und Wald einhergehen.

Es wäre wünschenswert, wenn die Behörden die Resultate unserer Forschung verwenden könnten, um gemeinsam mit den lokalen Bevölkerungen nachhaltige Wege zur Nutzung dieser Wälder auszuhandeln.

Was ist gemäss Ihren Erkenntnissen die wichtigste politische Stossrichtung in diesen Ländern, damit die Waldfragmente erhalten bleiben und nachhaltig genutzt werden?

Die Anerkennung und Unterstützung der verschiedenen lokalen Bewirtschaftungsformen. Unsere Forschung hat klar gezeigt, dass Wälder dort, wo es intakte lokale Institutionen gibt, in einem besseren Zustand sind als dort, wo sie fehlen. Die Wälder sind ja nicht aus Naturschutz- sondern aus kulturellen Gründen gut erhalten. Hier müsste man also die lokalen Bevölkerungen in ihren Traditionen stärken und als ebenbürtige Partner betrachten. Das sehen internationale Organisationen wie die Weltnaturschutz-Union IUCN gleich; nur bei den Regierungen ist das leider noch nicht überall angekommen.

Lassen sich Ihre Forschungsergebnisse auch auf andere Regionen übertragen?

Für den restlichen Teil Westafrikas können die Resultate ebenfalls relevant sein. Überdies lassen die sich von uns angewendeten Forschungsmethoden teilweise auf Kleinwälder in anderen Regionen der Welt übertragen.

Das Projekt SUSTAINFORESTS

Für ihr Projekt «SUSTAINFORESTS – Dynamics, functions, and sustainable management in agricultural landscapes of the West African forest and savannah zones» – erhielt Chinwe Ifejika Speranza 2020 eine Forschungsförderung des Europäischen Forschungsrats (ERC) in Form eines Consolidator Grant. Das Projekt startete im Juni 2021 und läuft bis Ende Mai 2026. Resultate daraus werden im Juni 2024 am «World Biodiversity Forum» in Davos präsentiert.