In Madagaskar prallen globale Interessen aufeinander

Madagaskar ist einer der wichtigsten Biodiversitäts-Hotspots. Internationale Naturschutzorganisationen und Geldgeber, darunter der Zoo Zürich, sind deshalb bestrebt, die letzten Tropenwälder vor der Abholzung schützen. Im Zuge steigender Weltmarktpreise für Vanille und Gewürznelken bauen jedoch lokale Bauern diese vermehrt an – auch auf Kosten der Wälder. Nahe der Naturschutzgebiete Masoala und Makira haben CDE-Wissenschaftler*innen nun aufgezeigt, wie stark der globale Konkurrenzkampf um Land und dessen Ressourcen die lokale Entwicklung beeinflussen. Soll diese nachhaltig sein, sind auch die unterschiedlichen internationalen Akteure gefordert, zusammenzuarbeiten – zum Wohle aller.

Internationales Interesse: Lemure und Vanille. Fotos: Julie Zähringer


Text: Gaby Allheilig, Julie Zähringer

Rund 120 Naturreservate und Nationalparks mit über 7 Mio. Hektar Fläche stehen in Madagaskar unter Schutz – von fast vegetationslosen Kalksteinspitzen über Dornenwälder bis hin zu feucht-heissen Tropenwäldern. Mit ihrer einzigartigen Flora und Fauna steht die viergrösste Insel der Erde ganz weit oben auf der Liste der weltweiten Hotspots für Biodiversität. Alleine hier sind 2999 Spezies heimisch, die auf der roten Liste der bedrohten Arten figurieren.

Das Interesse und Lobbying von internationalen Naturschutzorganisationen und Geldgebern hat dazu geführt, dass die Fläche der Naturschutzgebiete im Inselstaat seit 2003 über 400 Prozent auf mittlerweile 12 Prozent der Landesfläche zugenommen hat. Was mit Blick auf den Artenschutz und die Klimafunktion der Wälder sehr positiv erscheint, zeitigt mitunter aber unbeabsichtigte Folgen.


Wälder ausserhalb der Naturschutzgebiete unter Druck

CDE-Wissenschaftler*innen haben in zwei abgelegenen Gebieten im Nordosten des Landes (Karte oben: grün eingefärbte Gebiete), die an den Masoala-Nationalpark bzw. den Makira-Naturpark grenzen, untersucht, wie sich die Landnutzung von 1990 bis 2017 verändert hat. Das Resultat: Während die Waldfläche in den Schutzgebieten ziemlich stabil blieb, nahm sie in den Gebieten darum herum stark ab – um rund 30 Prozent. Gleichzeitig beobachteten die Forschenden, dass in den untersuchten Regionen auch die Walddegradation überall massiv zugenommen hat.

Entwicklung der Waldflächen in den beiden Studiengebieten Fizono und Beanana: 1997 wurde der Masoala Nationalpark geschaffen, 2012 der Makira Naturpark (für die detaillierten Entwicklungen in Fizono und Beanana auf Karten klicken). Karten: Jorge Llopis


Diese Entwicklung ist zu einem wichtigen Teil den fehlenden Bildungsmöglichkeiten und mangelnden Alternativen, Einkommen ausserhalb der Landwirtschaft zu generieren, geschuldet: 80 Prozent der Madagass*innen lebt von der Subsistenzlandwirtschaft, drei Viertel in extremer Armut; auf dem Index der menschlichen Entwicklung belegt das Land Platz 162 von 189 Staaten. Mit Brandrodungsfeldbau schafft sich die Landbevölkerung Anbauflächen vorab für Grundnahrungsmittel – allen voran Reis (siehe Box «Naturschutz vs. lokale Lebensgrundlagen?» am Seitenende).

Traditionelle Anbaumethoden für Grundnahrungsmittel: Durch Brandrodung gewonnene Flächen wechseln sich mit Wald ab. Foto: Peter Messerli


Das erklärt auch, weshalb der grösste Teil der Abholzungen, welche die Wissenschaftler*innen im Studiengebiet beobachteten, just im Vorfeld der Schaffung der beiden Naturpärke Masoala und Makira stattfand: Sobald die Bauern die Nachricht erhielten, der Wald werde unter Schutz gestellt, rodeten sie so viel Land wie möglich, um sich gemäss der Tradition die Bewirtschaftungsrechte und damit ihre Lebensgrundlage zu sichern.

Das unwägbare Geschäft mit der Vanille

Fast parallel dazu setzte andererseits der globale Boom von Gewürzen wie Vanille und Gewürznelken ein. Während Madagaskar zweitwichtigster Hersteller von Gewürznelken ist, deckt es bei der Bourbon-Vanille 80 Prozent der Weltproduktion. Zu Beginn der Nullerjahre trieben zunächst tropische Wirbelstürme, Missernten und politische Unruhen den Weltmarktpreis für Vanille in die Höhe. 2005 folgte der Einbruch, ab 2015 begannen die Preise unter anderem wegen der steigenden Nachfrage nach natürlichen Aromen wieder zu klettern – und das mehr denn je: Im Jahr 2018 kostete ein Kilo des schwarzen Goldes auf dem Weltmarkt rund 650 US-Dollar, 2019 waren es noch immer 550 Dollar.

Wird in einem aufwändigen Verfahren hergestellt: Vanille (siehe Box am Seitenende). Foto: Julie Zähringer


Anfang 2020 schliesslich zeichnete sich eine erneute Talfahrt des Vanillepreises ab: Unter den hohen Preisen hatte die Qualität gelitten. Zudem sind neue Anbaugebiete wie in Uganda in den Markt ein- und die Abnehmer wieder vermehrt auf künstliches Aroma umgestiegen. Ende Februar 2020 sah sich die madagassische Regierung veranlasst, einen Referenzpreis von 350 US-Dollar festzulegen, um einen extremen Preissturz zu verhindern.

Boom eröffnet Vanille-Bäuerinnen und Bauern neue Perspektiven

Während der Hochpreis-Phase erhielten die Vanille-Produzent*innen im Nordosten Madagaskars etwa 200 US-Dollar pro Kilo für das getrocknete Produkt. Der Rest ging an den Handel – oder versickerte im Schwarzmarkt und der Spekulation. Trotzdem bedeutete dies für die Bauern, die im Vanille-Geschäft tätig sind, eine markante Verbesserung ihrer Einkünfte – und eröffnete ihnen neue Perspektiven: Nicht nur, dass sie ihre Kinder zur Schule schicken und sich ein Haus bauen konnten. Auch die Dichte von Motorrädern, Autos und Solarpanels – in der Region für gewöhnlich der einzige Zugang zu Elektrizität – nahmen zu.

Veränderungen während des Booms: In der Studienregion entstanden neue Häuser, und Solarpanels liefern erstmals Elektrizität. Fotos: Julie Zähringer


Hohe Weltmarktpreise beeinflussen soziales Gefüge

Die Kehrseite der Medaille: Wegen des hohen Preises für Vanille kam es in den Anbaugebieten zu einer deutlichen Zunahme an Diebstählen und Konflikten. Inzwischen sehen sich viele Bauern gezwungen, ihre Pflanzungen rund um die Uhr zu bewachen. Ein Vanilleproduzent klagt zudem: «Wegen des plötzlichen Reichtums haben wir unsere Werte verloren. Das zeigt sich zum Beispiel bei der Reisernte: Wir waren es gewohnt, dafür unsere Familie und Verwandten zusammenzurufen. Alle halfen mit. Dieser soziale Zusammenhalt war typisch für Madagaskar. Das ist jetzt vorbei.»

Trotz Vanille-Boom: Die Infrastruktur – wie Transportwege – ist nach wie vor in schlechtem Zustand. Foto: Julie Zähringer


Kommt hinzu, dass längst nicht alle vom Geschäft mit Vanille und Gewürznelken profitieren. «Der Wohlstand, den diese Cash-Crops geschaffen haben, schlägt sich bislang nicht in der wirtschaftlichen Entwicklung der Region nieder», sagt Onintsoa Ravaka Andriamihaja, die am CDE zur ländlichen Entwicklung in Madagaskar forscht. Soziale Ungleichheiten haben – vor allem infolge der Inflation, die der Preisboom ausgelöst hat – zugenommen. Betroffen davon sind mehrheitlich jene Haushalte, die kein Land haben, um Cash-Crops wie Vanille oder Gewürznelken anzubauen.


Globale Einflüsse feuern Konkurrenzkampf um Land an

Genau solche Subsistenzbäuerinnen und -bauern sind es auch, deren Wohl von den Naturreservaten beeinträchtigt wird. Die Untersuchungen des CDE in den beiden Forschungsgebieten nahe Masoala und Makira haben zu Tage gefördert, dass die Pärke zwar für die lokale Bevölkerung insgesamt eine «bedeutende positive Wirkung» haben, so die Wissenschaftler*innen in einem Anfang 2020 publizierten Bericht. Zumal die Tropenwälder wesentlich zu einer gesunden Umwelt – wie sauberes Wasser und saubere Luft – beitragen. Doch für die Bevölkerung, die am meisten auf Waldgebiete angewiesen ist – für Jagd, Brenn- und Bauholz oder eben Anbauflächen –, hat der Konkurrenzkampf um Land einen gravierenden Nachteil: Angesichts von dessen Knappheit fällt es ihnen immer schwerer, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Dorfbewohner von Beanana diskutieren im Zuge des CDE-Forschungsprojekts mit dem lokalen Projektkoordinator Paul Clément Harimalala (Zweiter von links) die Vor- und Nachteile des Makira-Naturparks und des Vanille-Booms. Foto: Julie Zähringer


Der Gewürzboom hat diesen Wettbewerb zusätzlich angeheizt, wie Forschungsergebnisse des CDE verdeutlichen. Allerdings verdrängen die Vanille- und Gewürznelken-Pflanzungen nicht nur Reisanbauflächen. Vielmehr dehnen sich diese Cash-Crops, die in agroforstwirtschaftlichen Systemen produziert werden, inzwischen auch in die Tropenwälder aus – teils sogar in jene der Schutzgebiete.

«Die verschiedenen externen Akteure haben unterschiedliche Ansprüche an den ökologischen und wirtschaftlichen Nutzen von Land. Diese in Einklang zu bringen, stellt Madagaskar vor enorme Herausforderungen», unterstreicht Onintsoa Ravaka Andriamihaja. Erschwerend sei, dass die global agierenden Naturschutzorganisationen und Gewürzhändler im Allgemeinen nicht miteinander kommunizierten und vor Ort dieselben Bauern mit unterschiedlichen Strategien zu beeinflussen versuchen.

Gemeinsames Interesse entdecken ist vordringlich

Einen möglichen Ansatz, um aus dem Impasse herauszukommen, sehen die Wissenschaftler*innen denn in der Vernetzung und Zusammenarbeit der verschiedenen Interessensgruppen inklusive den staatlichen Behörden. Das läge nicht nur im Sinn der lokalen Bevölkerung, der es auch um die Sicherung der Grundnahrungsmittel geht: «Die Naturschutzorganisationen stehen ja vor dem Problem, dass Abholzung und Waldschäden auch wegen dem Anbau von Cash-Crops zunimmt. Die Gewürzhändler wiederum sind darauf angewiesen, dass sich das Mikroklima im Nordosten der Insel nicht weiter verändert und es noch häufiger zu Wirbelstürmen und Missernten kommt. Um das zu verhindern, braucht es Tropenwälder, welche die nötigen Ökosystemleistungen weiterhin erbringen können», so Onintsoa Ravaka Andriamihaja.

Soll die Entwicklung im Nordosten Madagaskars nachhaltiger werden, kommen die fernen internationalen Akteure wohl kaum darum herum, sich mit der lokalen Bevölkerung an einen Tisch zu setzen – und zusammen nach Lösungen zu suchen, die dem Wohl aller dient. 

Das Forschungsprojekt

Das Forschungsprojekt «Managing telecoupled landscapes» begann 2015 und ist Teil des Schweizerischen Forschungsprogramms zu globalen Entwicklungsfragen (r4d-Programm), finanziert vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) sowie der schweizerischen Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA). Das Projekt verfolgt das Ziel, innovative Strategien in drei Studiengebieten in Laos, Myanmar und Madagaskar zu entwickeln und zu testen, welche die Leistungen von Ökosystemen und das menschliche Wohl der betroffenen Bevölkerung sichern – gerade wenn die Landnutzung unter starken externen Einflüssen steht.

Aufwändige Vanille-Produktion

Photo: shutterstock.com / P-Y Babelon

Vanille ist nach Safran das zweitteuerste Gewürz der Welt. Es wird aus Kletterorchideen gewonnen, die sich an schattenspendenden Bäumen hinaufranken. Ihren Ursprung hat die Gewürzvanille in Mexiko, wo die Azteken sie auch als Zahlungsmittel verwendeten. Das koloniale Frankreich brachte die Vanillepflanzen nach Madagaskar, La Réunion und den Komoren. Während in Mexiko Insekten und Kolibris die Vanilleblüten bestäuben, müssen diese anderswo künstlich bestäubt werden – in Handarbeit. Danach dauert es neun Monate, bis die Samenkapseln reif sind. Frisch geerntet sind die Schoten grün, müssen aufgekocht, fermentiert und getrocknet werden. Erst während dieses Prozesses, der mehrere Monate dauert, werden die typischen Aromastoffe freigesetzt.

Naturschutz vs. lokale Lebensgrundlagen?

Madagaskar wird oft mit wunderschönen Regenwäldern und exotischen Tieren gleichgesetzt. In dieser Sichtweise fehlen jedoch häufig die Menschen der Insel. Da sie weitgehend von der Subsistenzlandwirtschaft abhängig sind, ist der Zugang zu Land entscheidend für ihr Überleben. Ein Policy brief und Datablog des CDE beleuchten diese Herausforderungen.