Interview: Gaby Allheilig
Handelsfragen sind meist umstritten – gerade wenn sie die Land- und Ernährungswirtschaft betreffen. Ein Beispiel ist das geplante Freihandelsabkommen zwischen den EFTA- und Mercosur-Staaten: Die Schweizer Regierung und Exportwirtschaft drängen auf ein rasches Abkommen; eine Allianz von NGOs und Schweizer Bauern hingegen befürchtet negative Folgen. Ist es so einfach abzusehen, wer profitiert und wer verliert?
Mit Handelsabkommen formt man Märkte und beeinflusst, welche Produkte auf welche Art und zu welchem Preis hergestellt werden. Deshalb kommt es stark darauf an, wie man die Abkommen ausgestaltet. Um zu erfahren, wem sie dienen, wer zu den Gewinnerinnen und wer zu den Verlierern zählt, muss man genau hinschauen.
Was bedeutet das konkret?
Wenn man – als Beispiel – die Einfuhrbestimmungen für südamerikanisches Fleisch lockern will, stellt sich die Frage, welche Art von Landwirtschaft man damit in den Partnerländern fördert und welche Auswirkungen das dort auf die Bäuerinnen und auf die Umwelt hat. Eine weitere Frage lautet: Ist es aus Gründen des Umwelt- und Klimaschutzes sinnvoll und vertretbar, landwirtschaftliche Produkte so weit zu transportieren? Unter gewissen Umständen kann das sinnvoll sein, unter anderen nicht. Auf den Tisch legen muss man auch, was das Abkommen für unsere Bauern hier bedeuten würde. Erst wenn alle diese Elemente bekannt sind, können die unterschiedlichen Interessen sorgfältig abgewogen und die Abkommen nachhaltig ausgestaltet werden.
Was sagen Sie jenen, die finden, dass es nicht Sache der Schweiz sei, sich um die Produktionsbedingungen in andern Ländern zu kümmern?
In unserer globalisierten Welt tragen wir auf allen Ebenen eine Nachhaltigkeits-Verantwortung: individuell als Konsumentinnen und Konsumenten, seitens der Privatwirtschaft und seitens der öffentlichen Hand. Ein Land wie die Schweiz, das seinen Ressourcenverbrauch mehrheitlich im Ausland deckt, steht hier besonders in der Pflicht.
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«Die Schweiz hat den Verfassungsauftrag, in ihren Handelsbeziehungen zu einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen»
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Neu gibt mit Artikel 104a in der Bundesverfassung einen klaren Auftrag: Mit den Handelsbeziehungen muss die Schweiz zu einer nachhaltigen Entwicklung der Land- und Ernährungswirtschaft beitragen – sowohl im In- wie im Ausland. Diesen Auftrag gilt es jetzt zu konkretisieren. In unserer Verfassung sind noch andere Prinzipien verankert, die in diese Richtung zielen: der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, das Bekenntnis, einen Beitrag zur Armutsreduktion auf der Welt leisten zu wollen, etc. All diese Ziele müssen beachtet werden, wenn wir Handelsabkommen mit andern Staaten eingehen. Handelsabkommen sollen durchaus Schweizer Wirtschaftsinteressen dienen, aber nicht nur.
Eine gängige Praxis ist, Handelsverträge mit Zusätzen zu versehen, in denen sich die Partner zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltkonventionen verpflichten. Wie wirkungsvoll sind solche Nachhaltigkeitskapitel tatsächlich?
Die Schweiz kennt Nachhaltigkeitskapitel zu Umweltstandards und Arbeitsbedingungen – etwa im neuen Handelsabkommen mit Indonesien. Wenn die vereinbarten Standards nicht eingehalten werden, gibt es ein Konsultationsverfahren. Wie viel das bringt, ist umstritten. Sicher aber ist es besser als nichts. Denn über diese Verfahren kann man in den Partnerstaaten auch Umweltorganisationen oder Gewerkschaften zu einer Stimme verhelfen.
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«Die Fair-Food-Initiative hat gezeigt, dass es noch etliche Unklarheiten bei der Frage gibt, wie man nachhaltige von nicht nachhaltigen Produkten unterscheiden kann»
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Alternativ dazu kann man bestimmte Produktionsmethoden – etwa faire Arbeitsbedingungen oder umweltfreundliche Herstellung – «belohnen», indem man diesen Erzeugnissen den Marktzugang erleichtert. Die Chance, mit solchen Produktdifferenzierungen auch nachhaltigere Märkte und Handelsbeziehungen zu schaffen, hat das Schweizer Stimmvolk aber erst kürzlich vertan: Es hat die Fair-Food-Initiative abgelehnt.
Die Produktdifferenzierung steht nicht im Gegensatz zu Nachhaltigkeitskapiteln, sondern wäre komplementär dazu. Die Debatte um die Fair-Food-Initiative hat jedoch gezeigt, dass etliche Unklarheiten bestehen, wie man solche Mechanismen der Produktdifferenzierung genau ausgestalten könnte. Man weiss vor allem nicht, wie man die Linie zwischen mehr und weniger nachhaltiger Produktion ziehen kann. Zudem ist unklar, wie gross der WTO-Spielraum tatsächlich ist. Diesen müsste man genauer ausloten. Zu diesen Fragen gibt es noch einiges an Forschungsbedarf.
Die WTO profilierte sich in der Vergangenheit ja nicht unbedingt als Vorreiterin in Sachen Sozial- und Umweltstandards. Aber diesen Oktober thematisierte sie an ihrem Public Forum, wie nachhaltiger Handel in Zukunft aussieht, und wie man ihn inklusiver machen kann. Hat da ein Umdenken stattgefunden?
Lange orientierten sich Handelsspezialistinnen und -spezialisten stark am Ziel, möglichst «freie» Märkte zu schaffen. Allerdings muss man auch erwähnen, dass die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung im Grundabkommen der WTO verankert ist. Nur hat man sich bis vor Kurzem nicht gross überlegt, wie – und ob – sich die Zielsetzungen «offene Märkte» und «nachhaltige Entwicklung» miteinander vereinbaren lassen. Ausserdem sind gerade die Agrarmärkte heute alles andere als «offen».
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«Infolge von Trumps Handelspolitik hat ein Umdenken eingesetzt»
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Nicht zuletzt infolge der Handelspolitik von Präsident Donald Trump hat inzwischen ein Umdenken eingesetzt: Man ist alarmiert und sucht nach neuen Antworten, welche die Nachhaltigkeit stärker betonen. Damit möchte man das multilaterale Handelssystem wieder stärken. Das war auch am letzten WTO Public Forum spürbar.
Zollpräferenzen an Nachhaltigkeitskriterien zu knüpfen, ist also nicht vom Tisch?
Das Thema wurde in den 90er Jahren stark diskutiert und kommt jetzt wieder auf. Die EU fördert mit neuen Abkommen zum Beispiel legal geerntetes Holz und erschwert den Handel mit illegalem Holz. Bei den Agrotreibstoffen kennt sie – und auch die Schweiz – ähnliche Produktdifferenzierungen. Neben den Zollbestimmungen wären auch Einfuhrkontingente, Abnahmeverpflichtungen oder weitere handelspolitische Instrumente als Möglichkeit zu prüfen.
Auch wenn die Debatte nur zögerlich vorankommt: Ohne Differenzierung zwischen nachhaltigen und nicht nachhaltigen Produkten dürfte es schwierig werden, die Handelsbeziehungen so zu gestalten, dass sich der Verfassungsauftrag von Artikel 104a wirklich umsetzen lässt.
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«Bei der Frage, wie man nachhaltige Landwirtschafts- und Ernährungssysteme fördert, ist der Staat gefordert»
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Wer soll das konkretisieren, bzw. Antworten liefern – die Wissenschaft?
Die Forschung muss sich überlegen, anhand welcher Kriterien man zwischen nachhaltigen und nicht-nachhaltigen landwirtschaftlichen Systemen unterscheiden kann – und zwar auf effiziente, verhältnismässige, faire, nicht-diskriminierende, verlässliche und kontextspezifische Art und Weise. Dabei geht es nicht darum, unterschiedliche Landwirtschaftssysteme gegeneinander auszuspielen. Vielmehr geht es letztlich um die Frage: Wie kann man darauf hinwirken, dass alle nachhaltiger werden und die diversifizierten Systeme neben solchen bestehen können, die spezialisiert sind und auf Monokulturen basieren?
Das heisst?
Bei industriellen Landwirtschaftssystemen muss man sich zum Beispiel überlegen, welche Mechanismen oder Anreize dazu führen, dass sie ressourcenschonender, tiergerechter und unter besseren Arbeitsbedingungen produzieren. Bei kleinbäuerlichen, diversifizierten Landwirtschaftssystemen hingegen lautet die Herausforderung, wie man sie erhalten und stärken kann. Denn sie sind – gerade in Zeiten des Klimawandels – sehr wichtig für die weltweite Ernährungssicherheit und Biodiversität. Bei diesen Fragen ist der Staat gefordert – sowohl innenpolitisch, beispielsweise bei der Ausgestaltung von Subventionen, wie aussenpolitisch bei den Handelsbeziehungen. Und dafür braucht es Forschung.