«Gratis ist Nachhaltigkeit nicht zu haben»

Am 7. März stimmen Schweizerinnen und Schweizer über das Handelsabkommen der EFTA mit Indonesien ab. Dieses ist wegen des Palmöls umstritten – wartet aber mit einem Novum auf: Es ist das erste Abkommen der Schweiz, das Zollerleichterungen für Importe davon abhängig macht, ob die Prinzipien der Nachhaltigkeit eingehalten werden. In diesem Fall gilt dies allerdings nur fürs Palmöl. Was wird mit diesem Abkommen punkto Nachhaltigkeit gewonnen – und was nicht? Handelsrechts-Spezialistin Elisabeth Bürgi Bonanomi vom CDE, Universität Bern, erläutert die Vor- und Nachteile.

«Es wäre zu begrüssen, wenn auch das Partnerland – in diesem Fall Indonesien – von uns Nachhaltigkeit einfordern würde in Bezug auf die Güter, die sie von uns importieren»: Elisabeth Bürgi Bonanomi. Foto: Manu Friederich


Interview: Gaby Allheilig

Elisabeth Bürgi, Sie untersuchen in Ihrer Forschung seit Langem, wie man der Nachhaltigkeit in Handelsabkommen effektiv Rechnung tragen kann. Sind Sie mit dem Abkommen, das die EFTA – und damit auch die Schweiz – mit Indonesien ausgehandelt hat, zufrieden?

Ein Handelsabkommen enthält immer ein umfassendes Paket an Regeln und Marktzugeständnissen. Diese sollten je einzeln aus Nachhaltigkeitssicht analysiert werden. Öffentlich diskutiert werden zurzeit aber nur die Vorgaben, die für den Import von indonesischem Palmöl vereinbart wurden. Neu ist, dass die gewährten Zollkonzessionen – reduzierte Zölle auf Palmölimporte bis zu 12'500 Tonnen und Nullzölle für Palmöl, das bei uns verarbeitet und wieder exportiert wird – direkt an Nachhaltigkeitskriterien geknüpft sind.

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«Der neu gewählte Weg ist aus Nachhaltigkeitssicht zu begrüssen»

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Das geht über die sonst üblichen Versprechen, Umwelt- und Sozialstandards einzuhalten, wie sie sonst in Nachhaltigkeitskapiteln festgehalten sind, hinaus. Dieses Mal wird der verbesserte Marktzugang direkt mit Nachhaltigkeitsvorgaben verknüpft. Bei einer guten Umsetzung kann das sehr effektiv sein. Dass die Vertragsparteien diesen neuen Weg gewählt haben, ist aus Nachhaltigkeitssicht zu begrüssen.

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«Der Verweis auf Zertifikate genügt nicht»

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In Indonesien werden für die Palmölproduktion fundamentale Menschenrechte und Umweltstandards verletzt. Wie realistisch ist es, Menschen- und Umweltrechte mittels Handelsabkommen umzusetzen?

Es gibt auch in Indonesien Versuche, die Palmölproduktion ökologischer und sozialverträglicher zu gestalten. Das sind aber ressourcenintensive Umstellungsprozesse, für die es die Zusammenarbeit mit der Bevölkerung vor Ort braucht. Denn die kritisierten Palmölplantagen sind die Folge von Landnutzungsänderungen ganzer Regionen. Da genügt der Verweis auf Zertifikate, wie er in der Umsetzungsverordnung zum Abkommen vorgesehen ist, nicht.

Was braucht es denn?

Der gewählte Ansatz, Zollpräferenzen mit Nachhaltigkeitsvorgaben zu verknüpfen, ist erst wirksam, wenn er auch hilft, die nötigen Umstellungsprozesse zu intensivieren und auszuweiten. Die EFTA-Länder Norwegen, Island, Liechtenstein und die Schweiz – alles finanzstarke Länder – haben Indonesien im Abkommen versprochen, hier technische und finanzielle Hilfe zu leisten. Leider wird bislang weder im Abkommen, in der Umsetzungsverordnung der Schweiz noch dem dazugehörigen erläuternden Bericht diese Hilfe beziffert. Das müsste nachgeholt werden.

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«Kleine Anfänge können zuweilen Grosses bewirken»

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Indonesiens wichtigste Handelspartner sind die ASEAN-Staaten, China und Japan. Da ist die EFTA samt Schweiz ein vergleichsweise kleiner Player.

Ja, das ist korrekt, allerdings ist die Kaufkraft in den EFTA-Ländern hoch. Ausserdem ruft die Agenda 2030 alle Akteure dazu auf, die Stellschrauben im Rahmen des Möglichen auf Nachhaltigkeit zu drehen. Sollten es die EFTA-Länder zusammen mit Indonesien schaffen, auch nur in einer bestimmten Region die Palmölproduktion wesentlich zu diversifizieren und sozialer zu gestalten, so wird das über diese Region hinaus ausstrahlen. Ein solcher Ansatz würde von anderen Akteuren kopiert, er würde in die Agrarberatung und die Lehre einfliessen usw. Kleine Anfänge können zuweilen Grosses bewirken.

Gibt es weitere Vorteile des Verbundes in der EFTA, um den Nachhaltigkeitsanliegen in Indonesien Nachachtung zu verschaffen?

Neben der erwähnten Unterstützung für eine Umstellung der Palmölproduktion, wäre es zielführend, wenn die EFTA-Länder nach einigen Jahren gemeinsam die Auswirkungen des Abkommens evaluieren würden. Eine solche ex post Evaluation ist bislang nicht vorgesehen. Sie wäre allerdings wichtig, um zu überprüfen, ob der gewählte Ansatz wirksam war oder ob die Umsetzung verbessert werden müsste. Nur so lässt sich sicherstellen, dass die Idee nicht verspielt wird und man auf dem richtigen Weg ist.

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«Die offizielle Schweiz könnte das Schiedsgericht sehr wohl anrufen»

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Die Gegner*innen des Indonesien-Abkommens argumentieren unter anderem, dass ausgerechnet das Kapitel zur Nachhaltigkeit – und damit die Bestimmungen zu Palmöl – von der Schiedsgerichtsbarkeit und damit von der effektiven Sanktionsmöglichkeit ausgenommen ist. Wie schätzen Sie das ein?

Die Verletzung des Kapitels zur Nachhaltigkeit kann gemäss dem Abkommen tatsächlich nicht vor dem Schiedsgericht angefochten werden. Aber: Die Vorgabe, dass importiertes Palmöl nachhaltig produziert sein muss, ist Teil des Kapitels Warenverkehr. Somit ist es sehr wohl möglich, in Bezug auf diesen Punkt das Schiedsgericht anzurufen. Allerdings kann das nur die offizielle Schweiz machen – aber keine privaten Parteien.

Wann könnte das der Fall sein?

Wenn die Schweiz zum Schluss kommen sollte, dass das zu importierende Palmöl nicht wirklich nachhaltig produziert wurde, kann sie darauf verzichten, die tieferen Zölle anzuwenden. Indonesien könnte in einem solchen Fall vor dem Schiedsgericht auf Gewährung der Zollkonzessionen klagen. Das Schiedsgericht müsste dann entscheiden, ob die Voraussetzungen erfüllt sind. Allerdings ist der Gang vor das Schiedsgericht nur die ultima ratio; vorerst steht das partnerschaftliche Vorgehen im Zentrum. Indonesien hat in die Nachhaltigkeitsvorgaben eingewilligt und ist bereit, mit Hilfe der EFTA-Länder diesen Weg zu beschreiten. Es dürfte allerdings auch die versprochene finanzielle und technische Hilfe einfordern.

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«Ähnliche Bestimmungen würden sich auch bei Soja und Fleisch im Mercosur-Abkommen aufdrängen»

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Wie hoch stehen die Chancen, dass die Schweiz bei anderen Handelsabkommen, die in Verhandlung stehen – etwa mit dem Mercosur oder mit Malaysia – ebenfalls Nachhaltigkeitskriterien direkt an Marktzugeständnisse knüpft?

Die Verhandlungen der EFTA mit den Mercosur-Ländern Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay sind abgeschlossen, der Text des Abkommens ist allerdings noch nicht öffentlich. Gemäss den bisherigen Informationen gibt es keine derartige Verknüpfungen, obwohl sie sich insbesondere bei Soja und Fleisch aufgedrängt hätten. Allerdings würden die Mercosur-Staaten dazu wohl nur Hand bieten, wenn die EFTA-Länder ihnen massgebliche Konzessionen in anderen Bereichen zugestehen.

Das gleiche wird für Malaysia gelten: Seine Regierung dürfte eine solche Bedingung nur akzeptieren, wenn sie etwas dafür erhält. Gratis ist Nachhaltigkeit nicht zu haben. Das ist in einer Gesamtsicht auch sinnvoll: Wenn diese Länder nachhaltig produzierte, aber auch verarbeitete Güter einfacher absetzen können, haben sie eine höhere Wertschöpfung und können langsam ihre herkömmlichen Rohstoffexporte reduzieren.

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«Werden Menschenrechts- oder Umweltstandards schwer verletzt, kann die Schweiz gewährte Konzessionen rückgängig machen»

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Handelsabkommen liessen sich auch so ausgestalten, dass man auf Menschenrechtsverletzungen ganz grundsätzlich reagieren könnte. In diesem Punkt ist die Schweiz allerdings zurückhaltend, wie das Abkommen mit China zeigt. Sehen Sie im Indonesien-Abkommen diesbezüglich Fortschritte?

In bilateralen Handelsabkommen bekräftigen die Vertragsparteien in der Regel ihre Rechte und Pflichten gestützt auf WTO-Recht. Das ist auch im Indonesien-Abkommens in Art. 1.5 der Fall. Damit bleibt der im Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen GATT festgehaltene Grundsatz gültig, wonach gewährte Konzessionen ausgesetzt werden können, wenn gravierende Menschenrechts- oder Umweltverletzungen vorliegen. Diese sogenannte «General Exception Clause» ist in gekürzter Form in Art. 3.16 des Indonesien-Abkommens widergegeben. Dies gilt auch für Bereiche ausserhalb des Palmölanbaus.

Was bedeutet das konkret?

Konkret heisst das: Wird ein Gut in die Schweiz importiert, bei dessen Herstellung Menschenrechts- oder Umweltstandards gravierend verletzt wurden, kann die Schweiz die gewährte Konzession rückgängig machen oder gar die Importe aussetzen. Die Schweiz macht allerdings von diesem Recht bis heute kaum Gebrauch. Es fehlt an einer gesetzlichen Grundlage, die festhalten würde, wann der Bundesrat tätig werden soll. Wie ein solches Gesetz aussehen sollte, ist in Diskussion.

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«Es wäre wichtig, Landschaften als Ganzes zu betrachten»

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Die jetzige Diskussion dreht sich einzig ums Palmöl. Gibt es weitere Punkte des Abkommens, die kritisch sind?

Nicht unproblematisch ist, dass auch Holz und Kautschuk besseren Marktzugang erhalten, dieser aber nicht von der Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards abhängig gemacht wird. Ausserdem wäre es wichtig, Landschaften als Ganzes zu betrachten, wie auch unsere Forschung am CDE zeigt. Eine nachhaltige Palmölwirtschaft würde die Ölpalme in die gewachsenen Kulturlandschaften integrieren. Solche Systeme, die eine hohe Agrobiodiversität aufweisen, werfen mehr als ein Produkt ab. Marktkonzessionen sollten deshalb für ein ganzes «Paket» an zusammengehörigen Produkten gewährt werden. Wir nennen das auch den «Basket Approach». Das Seco fördert heute bereits marktwirtschaftliche Initiativen, die in diese Richtung gehen, wie etwa die «Verified Sourcing Areas». Daran liesse sich anknüpfen.

Und sonst?

Wie erwähnt, sind alle Elemente genauer anzuschauen: die Regeln zum Schutz von geistigem Eigentum, zur Anerkennung von Standards usw. Hier nur zwei zusätzliche Beispiele: Das Abkommen eröffnet den Schweizer Finanzdienstleistern mehr Möglichkeiten auf dem indonesischen Markt – unabhängig davon, ob sie ihre Investitionen nachhaltig tätigen oder nicht, ob sie etwa direkt oder indirekt die Rodung von Regenwald mitfinanzieren. Auch Dienstleistungen liessen sich grundsätzlich an Nachhaltigkeitskriterien knüpfen. Das wird noch zu wenig gemacht. Auch wäre es zu begrüssen, wenn das Partnerland – hier Indonesien – von uns ebenfalls Nachhaltigkeit einfordern würde in Bezug auf die Güter, die sie von uns importieren.

Volksabstimmung Schweiz zum Handelsabkommen mit Indonesien

Im Hinblick auf die Volksabstimmung vom 7. März 2021 publiziert das CDE in loser Folge Fakten und wissenschaftliche Erkenntnisse zu Palmöl. Dabei beleuchten wir Fragen rund um das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven. Bisher erschienen: