Forschende in Bolivien raten zur Eindämmung von Pestiziden

Noch nie wurde weltweit mehr Soja produziert als heute. Der Boom hat nicht nur Folgen für die Landnutzung. Auch der hohe Einsatz an Pflanzenschutzmitteln lässt regelmässig aufhorchen. In Bolivien haben Wissenschaftler_innen im CDE-Projekt «Towards Food Sustainability» den Zusammenhang zwischen Sojaanbau und Pestizideinsätzen untersucht – mit dem Resultat, dass sie dem Landwirtschaftsministerium dringend zu Massnahmen raten.

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Bauer bringt Pestizide ohne angemessene Schutzkleidung auf Sojafeld aus. ©shutterstock

 

Gaby Allheilig, Johanna Jacobi

2005 markiert die Trendwende in Boliviens Sojaanbau: In jenem Jahr liess die damalige Regierung den Anbau von transgener Soja zu. Seither hat das Land die Anbaufläche der Hülsenfrucht laufend ausgeweitet, von 94'107 Hektar im Jahr 2005 auf über 1,3 Mio Hektar im Jahr 2016. Auch der Jahresertrag pro Hektar nahm zu; nämlich von 1,8 Tonnen auf 2,3 Tonnen – was einem Anstieg von etwa einem Viertel entspricht.

Vierfache Pestizidmenge seit Zulassung von GVO-Soja

Doch nicht nur die Produktion, auch Import und Einsatz von Pestiziden – also Herbizide, Fungizide und Insektizide – erhöhten sich in diesem Zeitraum. Gemäss den Untersuchungen im Forschungsprojekt «Towards Food Sustainability» (siehe Box unten) haben sie sich von 10'000 Tonnen auf 40'000 Tonnen pro Jahr vervierfacht. Die Zulassung von transgener Soja und das massive Import-Wachstum von Pflanzenschutzmitteln fallen in Bolivien demzufolge zeitlich zusammen.

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Leere Chemikalienkanister auf einem Feld im Departemtent Santa Cruz, Bolivien. ©Roberto Bascopé

Transgene Soja statt Tiermehl in Europas Futtertrögen

229 Pflanzenschutzmittel sind in dem Andenstaat registriert. 75 davon sind in der EU nicht zugelassen. Trotzdem ist Europa mit rund 27 Millionen Tonnen (2017) nach China Hauptabnehmer der vorwiegend transgenen Soja aus Südamerika und damit auch Boliviens. Einer der Gründe dafür: Seit die EU nach dem BSE-Skandal Tiermehl in der (Nutz-)Tierfütterung verboten hat, wird die proteinhaltige Bohne als Ersatz verfüttert.

Unkräuter werden zunehmend resistent

Für die Produktion von Soja kommt auf den Plantagen bevorzugt Glyphosat zum Einsatz. Denn GVO-Soja ist resistent gegen dieses Herbizid. Allerdings haben auch einige Unkräuter inzwischen Resistenzen dagegen entwickelt – ebenso wie gegen weitere Unkrautbekämpfungsmittel. Im Mittleren Westen der USA etwa erreicht die Glyphosat-Resistenz bereits 75 Prozent der untersuchten Felder, wie 2016 ein Bericht der Universität Illinois zeigte.

Sojaproduzenten weichen auf andere Wirkstoffe aus

Deshalb weichen Sojaproduzenten in Nord- und Südamerika inzwischen oft auf Glufosinat und Dichlorphenoxyessigsäure, kurz 2,4-D, aus. Ersteres wird in Europa zunehmend aus dem Verkehr gezogen, weil es die Fortpflanzung beeinträchtigen kann, letzteres war ein Bestandteil von Agent Orange, mit dem die USA während den Kriegen in Vietnam und Laos die Wälder entlaubten.

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Bis zu 17 Produkte kommen bei einer Sprühaktion aufs Feld. ©shutterstock

Hinzu kommt Paraquat. Das Herbizid, auch bekannt unter dem Handelsnamen Gramoxone des Hauptherstellers Syngenta, gelangt weltweit in rund 100 Ländern – darunter den USA und Kanada – regelmässig auf die Felder. Die Schweiz verweigerte dem Mittel aus toxikologischen und ökotoxikologischen Gründen schon 1989 die Zulassung. 2007 folgte die EU; und selbst Boliviens Nachbar Brasilien beschloss 2017, Paraquat mit einer dreijährigen Übergangsfrist vom Markt zu nehmen.

Paraquat und Glyphosat im Doppelpack

Anders in Bolivien: Hier zählt Paraquat zusammen mit Glyphosat, 2,4-D, Clethodim und Atrazin – einem weiteren Herbizid, das in der EU und der Schweiz verboten ist – zu den am häufigsten eingesetzten Unkrautvertilgern im Sojaanbau. Damit möglichst alle unerwünschten Pflanzen absterben, setzen die Pflanzer auf den «doppelten Schlag»: Paraquat und Glyphosat im Doppelpack.

Gemäss den Wissenschaftler_innen des CDE-Projekts kommen in Boliviens Soja-Gürtel pro Sprüheinsatz bis zu 17 Produkte zur Anwendung. Darunter auch Insektizide wie Methamidophos, eine hochgiftige Verbindung, die eigentlich auch im Andenstaat auf der Liste verbotener Substanzen steht – in Läden und beim Gebrauch auf den Feldern aber immer wieder nachgewiesen wird.

Häufige Anwendungen auf den Feldern

Die Toxizität der Wirkstoffe ist das eine. Das andere die Menge und Häufigkeit, mit der sie ausgebracht werden. Die Untersuchungen im Projekt «Towards Food Sustainability» ergaben, dass dies im bolivianischen Sojaanbau bis zu 12 Mal pro Anbauzyklus der Fall ist – die Behandlung des Saatguts nicht eingerechnet.

©PLAGBOL

Über 200 Mio jährlich für den Pflanzenschutz

«Insgesamt werden im Sojaanbau jährlich rund 35 Kilo an Pestiziden pro Hektar verwendet», bilanziert Roberto Bascopé, Doktorand im Projekt «Towards Food Sustainability» in Bolivien. Zusammen mit den Produkten für andere Kulturen ergibt das im Durchschnitt 227,2 Mio US-Dollar pro Jahr, die Boliviens Landwirte für den Pflanzenschutz ausgeben. Darin nicht enthalten sind die Pestizide, die aus illegalem Handel und Schmuggel stammen.

Leere Pestizidbehälter als Vorratskammer

Zu den Problemen, die Pflanzenschutzmittel auch andernorts verursachen können, gesellt sich in einem Land wie Bolivien oft mangelndes Wissen der Landbevölkerung: Welche Gefahren von den Pestiziden ausgehen, wie man damit umgehen und wie man sich schützen muss, ist ihr meist unbekannt. «Wir haben ständig Leute gesehen, welche die Pestizide ohne Schutzkleidung mischen und anwenden», erklärt Roberto Bascopé. Zudem bewohnten die Bauernfamilien häufig nur einen Raum, wo sie schlafen, essen – und die Pestizide lagern. Und wo sie die leeren Behälter oft weiter nutzen, um Wasser und Lebensmittel darin aufzubewahren.

Forschende raten der Regierung zu Massnahmen

Die Wissenschaftler_innen haben daher der bolivianischen Regierung kürzlich zu einer Reihe von Massnahmen geraten, mit denen die gravierendsten Probleme angegangen werden sollen. Diese reichen von Verboten für eine Reihe von Pestiziden über die Bekämpfung des illegalen Handels, der Förderung der ökologischen Landwirtschaft bis hin zu Bildung und Information der Bevölkerung über die Gefahren von Pestiziden.

Plaguicidas altamente tóxicos en Bolivia

Bascopé Zanabria R, Bickel U, Jacobi J, Delgado F, Neumeister L. 2018.

Plaguicidas altamente tóxicos en Bolivia. Towards Food Sustainability Policy Brief. La Paz, Bolivia and Bern, Switzerland: Centre for Development and Environment (CDE), University of Bern. 4 pp.

Towards Food Sustainability

Wie lassen sich Ernährungssysteme nachhaltig machen? Diese Frage steht im Zentrum des Forschungsprojekts «Towards Food Sustainability» am CDE. Wissenschaftler_innen untersuchen darin, wie Herstellung, Verteilung und Konsum von Nahrungsmitteln die folgenden Faktoren beeinflussen: Recht auf Nahrung, Umwelt, Armut und Ungleichheit sowie das Abfederungsvermögen sozialer und ökologischer Systeme. Im Projekt werden konkrete Aktionen wissenschaftlich begleitet und mit Innovationsstrategien unterstützt, die darauf zielen, die Ernährungssicherheit in Kenia, Bolivien, Sambia, Ghana, Brasilien und Peru zu erhöhen und nachhaltig auszugestalten. Das Projekt findet im Rahmen des r4d-Programms von SNF und DEZA statt.