Einsatz für Landrechte: differenziert aber klar engagiert

Seit 30 Jahren arbeitet er am CDE, war da bis vor Kurzem Co-Leiter des Bereichs Nachhaltigkeits-Gouvernanz und ist einer der führenden Köpfe des globalen Netzwerks Land Matrix – einem renommierten, wissenschaftlich gestützten Netzwerk, das Landdeals durch internationale Investoren dokumentiert. Kurz vor seiner Pensionierung hat Markus Giger über das Thema promoviert. Die Geschichte eines Wissenschaftlers, der sich lange nicht als solcher sah.

«Differenzierte Einsichten fand ich immer schon spannend»: Markus Giger. Hier an einem Event in Bern, 2016. Foto: Corina Lardelli


Veröffentlicht die Land Matrix Initiative alle vier bis fünf Jahre einen ihrer Berichte, steigt der Puls nicht nur bei zahlreichen international tätigen Organisationen, sondern auch in etlichen Redaktionsstuben. Zumal die Daten und Analysen des globalen Netzwerks meist brisant sind: 39 Prozent der grenzüberschreitenden Landdeals im Agrarbereich liegen zumindest teilweise in Biodiversität-Hotspots – und 54 Prozent sind für den Anbau von Pflanzen mit hohem Wasserverbrauch bestimmt. Soviel nur zu zwei Marksteinen des letzten Berichts der Land Matrix von 2021.

Einer der treibenden Kräfte, dass diese Daten und Analysen überhaupt öffentlich zugänglich sind, ist Markus Giger. Zusammen mit anderen Wissenschaftler*innen und NGO-Vertreter*innen setzt er sich seit der Gründung der Land Matrix Initiative im Jahr 2010 für mehr Transparenz bei grossen Landdeals und für die Landrechte der lokalen Bevölkerung ein.

Der internationalen Bekanntheit der Land Matrix, inklusive der Wahl durch den «Guardian» als eine der wichtigsten entwicklungspolitischen Informationsplattformen, zum Trotz: An die grosse Glocke hat Markus Giger seine Meriten daran nie gehängt. Im Gegenteil: Wer sich mit ihm unterhält, merkt gleich, dass er keiner ist, der viel Aufhebens um sich macht. «Er ist ein umsichtiger Macher, engagiert und stets bereit, dort einzuspringen, wo es brennt – um dann Lösungen zu erarbeiten», bestätigen langjährige Arbeitskollegen.

*****

«Gebrannt» hat es öfter. Zum Beispiel 2008, als bekannt wurde, dass der südkoreanische Konzern Daewoo Logistics in Madagaskar 1,3 Million Hektar Land pachten wollte. Auf dieser Fläche sollten Mais und Palmöl angebaut und nach Südkorea verschifft werden – ein Teil davon, um Biotreibstoffe zu gewinnen. «Als ich das las, hat es mich fast umgehauen», sagt Markus Giger. Zum Glück sei der Deal so nicht zustande gekommen. Denn die Ambitionen von damals beschränkten sich nicht auf Madagaskar, sondern betrafen zahlreiche Entwicklungsländer. «Das hat viele von uns getriggert.» – Die Land Matrix entstand.

«Landdeals treiben die Abholzung der letzten tropischen Urwälder weiter voran», sagt er in einem Interview 2021.


Obwohl das Thema Landdeals für ihn zu dem wurde, was man landläufig «Engagement mit Herzblut» nennt, beschreibt er die Probleme, die damit verbunden sind, nüchtern; zählt Beispiele auf; ruft in Erinnerung, dass solche Mega-Deals nur einen Teil dieser Geschäfte darstellen, um dann anzufügen: «Wenn du hörst, dass wieder so und so viel Land für Palmöl abgeholzt wurde, tut das richtig weh.»

*****

Was ist es, das Ihnen am meisten weh tut?

Das ist unterschiedlich. Schon damals, als ich in den 1980er-Jahren in Indonesien arbeitete, hat man gesehen, wie Urwald für Palmölplantagen gerodet wird. Ich kam durch Landstriche, wo es nur Monokulturen gab und dazwischen verstreut noch ein paar kleine Dörfer. Das war wie die Faust aufs Auge im Vergleich mit den multifunktionalen und kulturell geprägten Landschaften, wie man sie in weniger betroffenen Gebieten Sumatras zu sehen bekam. Und wenn du weisst, dass das immer mehr zunimmt, die Menschen dadurch ihr angestammtes Land und ihre Lebensart verlieren, der Artenreichtum schwindet und sich mit der Abholzung die Klimakrise weiter verschärft, dann fragst du dich: Was heisst das für uns, wenn das alles mal weg ist?

Wie lässt sich diese Negativspirale durchbrechen?

(schmunzelt) Es ist eine Frage der Tagesform, ob der Pessimismus oder der Optimismus überwiegt.
(überlegt) Man sollte die Innovationskraft des Menschen nicht unterschätzen. Denn plötzlich entstehen Dinge, von denen man zuvor nicht geglaubt hätte, dass sie stattfinden können. Und vielleicht kommt ja der Tag, wo die Vernunft überwiegt und jene, die die Entscheide treffen, sagen: Jetzt müssen wir nicht nur reden, sondern wirklich handeln.

*****

Obwohl sich Markus Giger im Lauf der Jahre am CDE immer mehr mit Gouvernanz-Themen beschäftigt hat, drückt da und dort der diplomierte Ingenieur Agronom ETH sowie sein Studium am Institut Agronomique Méditerranéen in Montpellier durch, wo er sich in ländlicher Entwicklung spezialisierte. So auch jetzt. «Teile der Lösungen, Innovationen, müssen von den technischen Wissenschaften kommen.» Wie bei den erneuerbaren Energien oder der Digitalisierung. «Denn die Gouvernanz oder gar die Natur des Menschen zu ändern, ist wahnsinnig schwierig. Bei technischen Innovationen ist es einfacher.»

Porträtiert von seinem Kollegen Karl Herweg, CDE


Eine wichtige Rolle kommt den neuen Technologien seines Erachtens auch in der Landwirtschaft zu. Wegen des rasanten Klimawandels brauche es neue, schnellere Anpassungen im Pflanzenbau, in der Tierhaltung und -medizin. «Wenn ein humides Gebiet innert Kürze zu semi-aridem Land wird, sind andere Anbaumethoden und Pflanzen gefragt, die die Bauern dort vorher nicht kannten. Mit lokalem Wissen alleine lässt sich das nicht mehr bewältigen.»

*****

Entwicklungszusammenarbeit und ländliche Entwicklung: Auf der Website des UNO-Übereinkommens zur Bekämpfung der Wüstenbildung (UNCCD), wo Markus Giger als unabhängiger Sachverständiger und Mitglied der Schweiz in der Kommission für Wissenschaft und Technik geführt wird, nimmt sich die Liste seiner Mandate und Arbeitserfahrungen lang aus. Und sie wäre noch um einiges länger, würde es sich nicht nur um eine Auswahl handeln.

*****

Nach der Studienzeit arbeitet er für die International Labour Organization ILO drei Jahre in Sumatra und lernt die Verkehrssprache Indonesiens. «Am Anfang dachte ich, ich würde von diesem riesigen und kulturell sehr spannenden Land nichts begreifen. Nach einem Jahr meinte ich, ich wüsste, wie es läuft, so dass ich ein Buch darüber schreiben könnte. Nach drei Jahren wusste ich: Du wirst nie ein Buch darüber schreiben, du kratzt nur an der Oberfläche.»

An einem Ausbildungskurs in Madagascar im Jahr 2000


Die nächste Station nach Indonesien ist Rom. Welternährungsorganisation FAO. Der junge Agrarwirtschaftler heuert dort bei einem Ausbildungsprogramm an, das in verschiedenen Ländern lief, Pakistan, Myanmar, … «aber als erstes bin ich wieder für drei Monate nach Indonesien gegangen». Zurück in der Schweiz entscheidet er sich, hier zu bleiben. 1993 steigt er beim CDE ein, arbeitet in zahlreichen Beratungsmandaten für die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) und kommt auf diese Art fast in alle Gegenden des globalen Südens. «Es ist nicht so, dass ich immer auf Achse gewesen wäre. Aber ich war lange am CDE und hatte immer wieder die Chance, operationelle Aufgaben zu übernehmen, wofür auch Aufenthalte vor Ort nötig waren.»

*****

Lange – das sind fast 30 Jahre. «Ich bin offenbar jemand, der lieber dabeibleibt, wenn er sich mal für etwas entschieden hat.» Geblieben ist er auch, weil sich im Lauf der Jahre die Themen und Funktionen veränderten, die er bearbeitete bzw. innehatte; im Gleichschritt mit den Veränderungsprozessen am CDE.

Wie ist das zu verstehen?

Früher sagte ich, ich arbeite hier an einer Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis. Ich habe nicht selber Wissen produziert. Vielmehr sah ich mich als jemanden, der in der Umsetzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen tätig ist. An dieser Brücke zu bauen, hat mich interessiert. Als sich am CDE das Schwergewicht von solchen Umsetzungs- vermehrt zu Forschungsprojekten verlagerte, merkte ich, dass ich statt der Berichte an die DEZA wissenschaftliche Papers zu schreiben begonnen hatte. Mit der Zeit kamen auch Leitungsfunktionen hinzu und neue Netzwerke wie die Land Matrix oder das internationale Forschungskonsortium zu Afgroland.

*****

In Projekt Afgroland untersuchten CDE-Forschende zusammen mit Wissenschaftler*innen anderer Institutionen in Ostafrika die Muster, wie sich transnationale Landdeals lokal auswirken.

Mit Boniface Kiteme, Direktor des CETRAD, 2021 in Kenia


Welches sind denn die Muster?

Wir haben festgestellt, dass sich die Fragen der Landrechte und des Zugangs zu Land in jedem Staat wieder anders präsentieren. Da gibt es kein Schwarz-Weiss, sondern man kommt zu sehr nuancierten Resultaten. Differenzierte Einsichten fand ich immer schon spannend. Ausserdem war es super, ähnlich wie bei der Land Matrix, mit so unterschiedlichen Partnern zusammenzuarbeiten, die es schaffen, am gleichen Strick zu ziehen.

*****

Bleibt die Gretchenfrage. Warum schreibt jemand auf seine baldige Pensionierung hin noch eine Doktorarbeit? Markus Giger antwortet darauf, indem er zuerst erklärt, warum er es nicht früher getan hat: «Ich sah mich nicht in einer akademischen Laufbahn.»

Vor zwei Jahren wurde ihm klar, dass er schon «ein schönes Päckli» an wissenschaftlichen Artikeln zum Thema Landdeals publiziert hatte. «Da dachte ich, das liesse sich zu einer Dissertation verarbeiten.» Weil er ohnehin sein Arbeitspensum reduzierte, war auch die Zeit dafür vorhanden. Jetzt sagt er: «Es ist cool, wenn du eine Woche lang an einem Kapitel schreiben kannst und nicht Tausend andere Dinge dazwischenkommen. Das hat Spass gemacht, ja.»

Während der Präsentation seiner Dissertation, Dezember 2022


Ende 2022 war es dann soweit, die Doktorwürde war sein. Obschon er offiziell das Pensionsalter erreicht hat, denkt er eher mit Unruhe an den Ruhestand. «Als Rentner, der nur noch Ausflüge macht, sehe ich mich im Moment nicht.» – Vorerst ist das auch nicht nötig, hat er doch noch etliche Mandate, die er fürs CDE ausüben wird. Natürlich: die Land Matrix; und auch die Betreuung einiger Nachwuchswissenschaftler*innen.

Was geben Sie diesen mit auf den Weg?

(überlegt länger) Mach das, was dir Freude bereitet.
(dann, mit einem Lachen) Und mach nicht zu lange an der Diss.