Interview: Gaby Allheilig
‘Landschaftsdienstleistung’ statt ‘Aussicht’, ‘Agrarprodukt’ statt ‘Apfel’ oder ‘Weizen’: Im «Sprachkompass Landschaft und Umwelt» zeigen Sie auf, wie unsere Sprache zunehmend technokratisiert und ökonomisiert wird. Oft stammen die Metaphern aus Technik und Wirtschaft – was Sie mit kritischem Blick betrachten. Warum?
Kein Bauer würde von einer Landschaftsdienstleistung sprechen; keiner sagen, er habe auf einer Agrarfläche gearbeitet. Solche Begriffe öffnen einen planenden, rationalen und in diesem Sinn auch technokratischen und ökonomisierenden Blick auf die Landschaft. Nehmen wir das Beispiel Kalbfleischproduktion: Dieses Wort bringt eine rein ökonomische Sichtweise zum Ausdruck. Denn es verwandelt das Tier in eine Ware, vergleichbar mit Schuhen, Uhren oder Autoreifen. Das Tier als Lebewesen wird dabei ausgeblendet.
Wissenschaftliche Begriffe können das Faktische benennen, anstatt Emotionen zu schüren. Ist das nicht auch eine Chance – beispielsweise dann, wenn es darum geht, möglichst rationale Entscheide zu treffen, etwa in der Politik?
Ja, wissenschaftliche Erkenntnisse müssen rational und nachprüfbar sein. Dazu braucht es genau definierte Begriffe. Das Problem ist nur: Je genauer wir in fachliche Details gehen und etwas technisch oder ökonomisch definieren, desto eher geht der grössere Zusammenhang verloren. Wenn Sie ein Kalb bloss noch als Produkt, eine Landschaft bloss als Fläche oder Dienstleistung sehen, geraten ethisch-moralische Fragen leicht aus dem Blick.
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«Wissenschaftler sollten reflektieren, was sie mit ihren Begriffen ausblenden»
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Wichtig scheint mir, dass die Wissenschaftler reflektieren, was sie mit ihren Begriffen sichtbar machen und was sie ausblenden. Mit dem «Sprachkompass» versuchen wir aufzuzeigen, wie dies geschehen kann. Es geht uns mit dem Projekt jedoch nicht darum, den Zeigefinger mahnend zu erheben und zu sagen: Ihr dürft dieses oder jenes Wort nicht mehr brauchen. Vielmehr möchten wir zeigen, welchen Denkrahmen bestimmte Wörter aufspannen und zu welchen Handlungen sie anleiten; also den Zusammenhang zwischen Sprache, Denken und Handeln sichtbar machen.
Dafür gibt es auch positive Beispiele, die Sie in Ihrem Buch auch beschreiben. ‘Landschaftsdienstleistung’ ist eines.
Die grosse Stärke dieses Begriffs ist, dass er Aspekte der Landschaft sichtbar macht, die zuvor nicht erkennbar waren. So kann er beispielsweise darauf hindeuten, dass der Wald Strassen vor Steinschlag schützt. Oder dass der Bau einer Autobahn den Ernteertrag mindert, weil ja Land zubetoniert wird. Dabei handelt es sich um quantifizierbare Leistungen, die man in die Baukosten einrechnen könnte. Indem man Ökosystemleistungen berechnet, schafft man Fakten, die ökologischen Anliegen in der politischen Diskussion mehr Gewicht verleihen können. Eine kluge Lenkung über das Portemonnaie kann die Folge sein. Gleichzeitig birgt der Ausdruck die Gefahr, dass Aspekte, die sich nicht oder nur schwer als Dienstleistung quantifizieren lassen, unter den Teppich gekehrt werden.
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«‘Landschaftsdienstleistung’ stellt die Natur als Serviceagentur dar»
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Zum Beispiel?
Zum Beispiel ästhetisch-emotionale Werte. Sie kann man nur schwer quantifizieren. Denken Sie an unsere Verbundenheit mit einer Landschaft, die wir als einzigartig – und daher unbezahlbar - empfinden. Der Begriff der Landschaftsdienstleistung hat aber noch eine weitere Schwäche: Landschaft und Natur werden als Serviceagentur dargestellt, deren Hauptfunktion es ist, dem Menschen zuzudienen. Das suggeriert eine Wohlfühl-Natur und blendet andere Seiten der Natur aus – zum Beispiel Gefahren, die von ihr ausgehen. Das kann über kurz oder lang zu einem Problem werden. Gehören invasive Arten, Seuchen wie Ebola oder Antibiotikaresistenz auch zu den Dienstleistungen der Natur?
Sie regen an, über solche Begriffe nachzudenken und allenfalls entsprechend zu handeln. In den 1980er Jahren brachte der Begriff Waldsterben in der Umweltpolitik einiges in Gang. Hoffen Sie auf eine ähnliche Bewegung, wenn wir von ‘Erderhitzung’ statt von ‘Klimawandel’ sprechen?
In der Linguistik spricht man von Frames: Das sind die gesammelten Erfahrungen, die in Verbindung mit bestimmten Wörtern unsere Wahrnehmung prägen. Und sowohl Wald wie Sterben sind emotional stark aufgeladene Wörter. Beide zusammen schaffen ein Bedrohungsszenario, das fast nicht zu überbieten ist. Ganz anders der Klimawandel.
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«Wir möchten zeigen, welche Begriffe uns dazu verleiten, mehr Ressourcen zu verbrauchen als nötig»
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Klima ist ein sehr abstrakter Begriff, Wandel ist neutral. Kommt hinzu, dass das Verb wandeln reflexiv ist. Das heisst: Es ist das Klima, das sich wandelt. Damit wird ausgeblendet, dass es Akteure gibt, die diesen Wandel herbeiführen – nämlich wir Menschen. So gesehen wirkt das Wort wie eine Beruhigungspille. Klimaerhitzung wirkt völlig anders: Erhitzung eröffnet eine sinnliche Wahrnehmung, die bedrohlich ist. Bei Klima- oder Erderhitzung schwingt mit, dass ein gravierender Schaden zu befürchten ist, wenn man nichts tut. Bei Klimawandel fühlt sich niemand wirklich angeleitet zu handeln.
Sie arbeiten bereits am nächsten Sprachkompass. Dieses Mal nehmen Sie die Themen Mobilität und Ernährung im Sinn der Suffizienz unter die Lupe. Zielen Sie damit in Richtung ‘Décroissance’?
Dem Begriff Wachstum wollen wir tatsächlich ein besonderes Augenmerk schenken. Denn Wachstum und Entwicklung sind Ausdrücke, die – so unsere These – wirtschaftliches Handeln und eine Mengenausweitung antreiben. Damit einher geht auch ein Ressourcenverbrauch, der nicht mehr suffizient ist. Unser Ziel ist es, über Sprachanalyse sichtbar zu machen, welche Begriffe uns dazu anleiten, mehr Ressourcen zu verbrauchen als nötig. Sei es beim Essen, beim Reisen oder bei der Alltagsmobilität. Décroissance oder Nullwachstum sind jedoch keine Alternativen zum Wachstumsbegriff.
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«Wir müssen Interessen und Sprache in Übereinstimmung bringen»
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Weshalb nicht?
Einen Begriff zurückzuweisen, heisst immer, sich gedanklich auf ihn einzulassen, sich an ihm zu orientieren. Wenn wir ständig in diesem Wachstumsmodus denken und sprechen, stärken wir Interessen, die eigentlich einer nachhaltigen Entwicklung zuwiderlaufen. Es nützt dann auch nichts, sie wie in Degrowth zu negieren – einem Begriff, bei dem Interessen und Sprache im Widerspruch zueinander stehen. Wenn wir eine Veränderung anstreben, müssen wir Interessen und Sprache in Übereinstimmung bringen.
Das tönt abstrakt…
Anhand des Beispiels Langsamverkehr lässt es sich erklären: Obwohl sachlich unterstützenswert, ist dieser Begriff negativ konnotiert, da langsam implizit ein Defizit ausdrückt. Solche Grundwerte sind tief in unserem Sprachempfinden verankert. Statt also langsam zu verwenden, müsste man die positiven Aspekte der Entschleunigung aufzeigen. Interessant daran ist, dass wir dann häufig ins Englische ausweichen, zum Beispiel zu Slow Food oder Slow up: Diese Begriffe fassen leichter Fuss, weil slow ein pfiffiges englisches Wort ist, das keinen negativen Beigeschmack hat.
Sie suchen also nach sprachlichen Alternativen, die einen suffizienten Lebensstil unterstützen?
Ja, wir wollen das Bewusstsein fördern, dass Sprache eine Rolle bei diesem gesellschaftlichen Wandel spielt, den wir unter dem Titel Suffizienz anstreben. Wer weiss, vielleicht finden wir sogar einen besseren Ausdruck für dieses abstrakte Monstrum Suffizienz… (lacht)