«Ärmere Länder bleiben vom Austausch von Steuerdaten faktisch ausgeschlossen»

Die Schweiz ist ein weltweit führender Handelsplatz für Rohstoffe – ein Geschäft, das nicht für seine Transparenz bekannt ist. Ein Forschungsprojekt untersucht derzeit, wie sich illegitime Finanzflüsse aus rohstoffreichen Entwicklungsländern eindämmen lassen. Diese verstossen in der Regel nicht nur gegen nationales oder internationales Recht, sondern verhindern auch eine nachhaltige Entwicklung. Mehr Transparenz und der Informationsaustausch in Steuerfragen könnten die Situation verbessern. Doch wo steht die Schweiz heute? Und was müsste sie in Zukunft tun? CDE-Wissenschaftlerin Irene Musselli über die jüngsten Resultate aus der rechtswissenschaftlichen Forschung des Projekts.

Irene Musselli. Foto: Gaby Allheilig


Interview: Gaby Allheilig

Enthüllungen aus den Paradise Papers deuten darauf hin, dass Rohstoffunternehmen und -händler mit Sitz in der Schweiz an undurchsichtigen Transaktionen und unrechtmässigen Rohstoffgeschäften beteiligt sein dürften. In diesem Zusammenhang haben Sie untersucht, wo die Schweiz heute punkto Transparenz und Austausch von Steuerinformationen steht. Zu welchem Schluss sind Sie gekommen?

Die Schweiz hat sich angesichts solcher Vorkommnisse dazu verpflichtet, die Transparenz in Steuer- und Handelsangelegenheiten zu verbessern, sowie illegitime Finanzströme einzudämmen, die mit dem Rohstoffhandel in Zusammenhang stehen. Sieht man sich die Praxis des Informationsaustausches in der Schweiz genauer an, wird deutlich, dass diese auf die Bedürfnisse reicherer Länder zugeschnitten ist. Faktisch bleiben die am wenigsten entwickelten Länder nach wie vor weitgehend vom Austausch von Steuerdaten ausgeschlossen.

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«Die Schweiz hat erhebliche Fortschritte gemacht»
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Lässt sich die Situation demnach so zusammenfassen: Weissgeld aus reichen Ländern, Schwarzgeld aus ärmeren Staaten?

Da muss man etwas differenzieren. Denn es gibt verschiedene Wege, über die Informationen ausgetauscht werden, und unterschiedliche Arten der Umsetzung. Man muss zwischen den neuen rechtlichen Möglichkeiten und der Umsetzung in der Praxis unterscheiden. Auf dem Papier hat die Schweiz die verschiedenen rechtlichen Grundlagen für den Informationsaustausch angepasst und stark erweitert. Und sie hat sich auch politisch verpflichtet, die Steuertransparenz zu erhöhen. Diesbezüglich hat sie erhebliche Fortschritte gemacht: Ihr Recht entspricht nun internationalen Standards. Sie ist grundsätzlich auch bereit, Informationen mit allen interessierten Ländern auszutauschen, welche die Anforderungen für den Austausch erfüllen.

Wie erklärt sich dann der Unterschied zwischen Theorie und Praxis?

Das Hauptproblem sind die begrenzten administrativen Kapazitäten der ärmeren Länder. Das hat zur Folge, dass sie die Bedingungen für den internationalen Informationsaustausch oft nicht erfüllen können. Die Empfängerländer müssen über entsprechende Gesetze, Verfahren und IT-Lösungen verfügen, um die Vertraulichkeit von Steuerinformationen zu garantieren. Damit sich ein Land für den automatischen Austausch von Bankdaten qualifizieren kann, muss es sich einer vorläufigen Prüfung hinsichtlich der Vertraulichkeit und des Datenschutzes unterziehen – sowohl auf rechtlicher als auch auf operativer Ebene. Kommt hinzu, dass die Schweiz steuerrelevante Informationen nur dann austauscht, wenn die Gegenseitigkeit gegeben ist. Das bedeutet, dass in den Partnerländern Gesetze in Kraft sein müssen, welche die Verfügbarkeit, das Sammeln und das Übermitteln von Informationen gewährleisten.

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«Die Schweiz könnte vorübergehend auf Gegenseitigkeit verzichten»
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Was könnte die Schweiz tun, um auch ärmere Länder in den Informationsaustausch von Steuerdaten einzubinden?

Sie könnte ihre Anforderungen an die Verfahren lockern, die es den ärmeren Ländern erschweren, die Mechanismen des Informationsaustauschs zu nutzen. Schon mit geringfügigen Anpassungen würden sich gute Fortschritte erzielen lassen.

Woran denken Sie zum Beispiel?

Die Schweiz könnte ein paar einkommensschwache Länder auswählen und bei diesen – vorübergehend – auf die Gegenseitigkeit verzichten. Das würde den Informationsaustausch mit Staaten ermöglichen, die über zu wenig administrative Ressourcen verfügen, um selber Informationen zu sammeln und zu übermitteln. Die Schweiz könnte dabei immer noch Garantien von diesen Ländern verlangen, um Vertraulichkeit und Datenschutz sicherzustellen.

Würde das nicht die Rechte der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler untergraben?

Ein vorübergehender Verzicht auf Gegenseitigkeit bedeutet nicht, dass die Persönlichkeitsrechte der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler eingeschränkt werden. Effektiv beruht der Austausch von Informationen schon heute nicht auf Gegenseitigkeit. Denn die Schweiz beantwortet viel mehr Anfragen, als sie an andere Länder richtet.

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«Die Schweiz sollte die technische Zusammenarbeit in Steuerangelegenheiten vertiefen»
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Gibt es weitere Möglichkeiten, ärmere Länder in den Austausch von Steuerinformationen einzubeziehen?

Die Schweiz sollte die technische Zusammenarbeit in Steuerangelegenheiten vertiefen – etwa, indem sie in Pilotprojekten mit ausgewählten Partnerländern innovative Methoden des Informationsaustauschs erprobt. Der Schwerpunkt müsste auf dem Wissenstransfer zwischen den Partnerländern sowie der Vermittlung von Fachwissen liegen. Expertinnen und Experten der Steuerverwaltungen der Schweiz und des jeweiligen Landes sollten sich intensiver austauschen. Diese Zusammenarbeit könnte modular und schrittweise intensiviert werden. Für die Schweiz würde das bedeuten, dass die eidgenössische Steuerverwaltung, das Staatssekretariat für Wirtschaft, das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen sowie die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit verstärkt zusammenarbeiten und sich besser koordinieren.

In Ihrem Bericht schlagen Sie auch einseitige Massnahmen für ärmere Länder vor.

Ja, das ist etwas, was die Schweiz in Erwägung ziehen könnte. Der Informationsaustausch würde in diesem Fall den Austausch von Informationen mit ärmeren Ländern vorübergehend rechtlich ermöglichen. Pilotprojekte der technischen Hilfe, die darauf abzielen, Grundlagen für einen umfassenden Informationsaustausch zu schaffen, würden einen geeigneten Rahmen dafür bilden. Der Austausch liesse sich vorderhand mittels Absichtserklärungen – sogenannten Memoranda of Understanding – konkretisieren, so dass es keine bilateralen Verträge bräuchte. Das würde die Gelegenheit für massgeschneiderte Lösungen bieten, die über "one size fits all"-Ansätze hinausgehen.

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«Steuertransparenz ist kein Allheilmittel»
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All diese Massnahmen kosten viel Geld – sei es in der Schweiz oder in Entwicklungsländern…

Der Informationsaustausch in Steuerfragen ist ein kostspieliges Unterfangen. Vor allem dann, wenn es Investitionen braucht, um in strukturschwachen Ländern die nötige Infrastruktur aufzubauen. Steuertransparenz ist auch kein Allheilmittel und eignet sich nicht für jeden Zweck. Es ist ein komplexes Instrument, um Preismanipulationen im Rohstoffhandel zu bekämpfen. Es besteht zwar ein gewisses Risiko, dass die Umsetzung misslingt. Aber ein gut umgesetzter Informationsaustausch kann auch zu nachhaltigen Resultaten führen und weitreichende Reformen in Steuersystemen von ärmeren Ländern auslösen – vor allem dann, wenn gleichzeitig Anstrengungen unternommen werden, um die Steuerbasis zu verbreitern und mehr Einnahmen zu generieren.

Welche Alternativen gibt es dazu?

Es gibt alternative Instrumente, um Preismanipulationen bei grenzüberschreitenden Transaktionen aufzudecken. Dazu gehören sogenannte «Simplified Methods», also vereinfachte Methoden, um Rohstoffexporte zu besteuern. Auch werden grundlegende Anpassungen der heutigen internationalen Steuerarchitektur diskutiert. Hier braucht es weitere Forschung.

CDE Working paper

Bekämpfung illegitimer Finanzflüsse im Rohstoffhandel: Steuertransparenz

Die Agenda 2030 ruft dazu auf, illegitime Finanzflüsse im Rohstoffhandel zu bekämpfen. Denn rohstoffreiche Länder sollen ihre Steuereinnahmen sichern können. Als wichtiger Rohstoffhandelsplatz hat die Schweiz neue Massnahmen ergriffen – wie etwa den Ausbau des Informationsaustausches. In einem Working Paper haben die CDE-Wissenschaftlerinnen Irene Musselli und Elisabeth Bürgi Bonanomi untersucht, wie wirksam dieser ist, um Preismanipulationen im Rohstoffhandel entgegenzuwirken, und ob es Alternativen dazu gibt.

Das Projekt

Forschungspartnerschaft zwischen der Schweiz, Laos und Ghana

Das interdisziplinäre Forschungsprojekt «Unlautere und illegale Finanzflüsse aus rohstoffreichen Entwicklungsländern verhindern: Ressourcengouvernanz stärken, um Entwicklung zu finanzieren» hat zum Ziel, das Wissen über illegitime Finanzflüsse im Zusammenhang mit dem Rohstoffhandel zu vertiefen. Gleichzeitig sollen wirksame politische Ansätze entwickelt werden, um solchen Praktiken zu begegnen. Das Projekt ist Teil des r4d-Programms, finanziert von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit und des Schweizerischen Nationalfonds.