Interview: Gaby Allheilig
Christoph Bader, Sie und Ihr Team schlagen in Ihrem Arbeitspapier vor, die Schweiz solle die Erwerbsarbeit auf etwa sechs Arbeitsstunden pro Tag reduzieren. Das würde unseren ökologischen Fussabdruck reduzieren, unser Wohlbefinden steigern und gleichzeitig liessen sich damit auch soziale Ungleichheiten abfedern. Auf welche Studien oder Daten stützen Sie diese Annahmen?
Die Idee einer Arbeitszeitreduktion mit diesem dreifachen Gewinn ist nicht neu. In den letzten 15 Jahren hat es zahlreiche Untersuchungen gegeben, die zeigten, dass sich eine Reduktion der Erwerbsarbeitszeit nicht nur positiv auf den ökologischen Fussabdruck auswirken kann, sondern auch das Wohlbefinden steigern und soziale Ungleichheiten verringern kann. Die meisten dieser Studien haben das jeweils auf Länderebene, also gesamtwirtschaftlich, untersucht. Wir hingegen haben jetzt bezogen auf die Schweiz die individuelle Ebene angeschaut und die Frage gestellt: Was passiert mit den Menschen, die ihre Erwerbsarbeit freiwillig reduzieren, hinsichtlich ihres Wohlbefindens und ihres ökologischen Fussabdrucks? Dafür haben wir während knapp zwei Jahren dieselben 800 Personen zu drei verschiedenen Zeitpunkten zu ihrer Erwerbsarbeit, ihrem Wohlbefinden und ihrem ökologischen Fussabdruck befragt. Wir haben Vollzeit- und Teilzeitarbeitende verglichen sowie Personen, die in dieser Zeitspanne ihre Arbeitszeit reduzierten.
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«Wir müssen Antworten auf vielfältige Krisen finden»
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Zu welchen Ergebnissen sind Sie gelangt?
Wir sind noch am Aufbereiten der Daten, aber die ersten Resultate zeigen klar: Beim Vergleich von Voll- und Teilzeitarbeitenden sind Personen, die weniger arbeiten, im Allgemeinen zufriedener und haben einen tieferen ökologischen Fussabdruck. Bei den Personen, die ihre Arbeitszeit während der Zeit unserer Untersuchung reduzierten, stieg das Wohlbefinden leicht an. Tendenziell sinkt in dieser Gruppe auch der ökologische Fussabdruck, unter anderem weil sie weniger pendeln. Ob dieser Effekt durch vermehrten Freizeitverkehr inklusive Flugreisen wieder zunichtegemacht wurde, sind wir noch am Auswerten.
Weniger arbeiten fürs Klima und das eigene Wohlbefinden: Das hört sich gut an. Aber wer finanziert das – zumal die Arbeitnehmenden wohl kaum generell zu einem Lohnverzicht bereit sein werden?
Die Frage der Finanzierung, wird, wie so oft, heiss diskutiert. Gleichzeitig führt sie uns nicht weiter. Wir müssen Antworten darauf finden, wie wir die vielfältigen Krisen, in denen wir schon stecken oder die sich abzeichnen – wie Klimaerwärmung und steigende soziale Ungleichheiten – als Gesellschaft angehen wollen. Zuerst müssen wir bestimmen, wo wir aktiv werden, und nachgelagert aushandeln, wie wir das finanzieren.
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«Eine Arbeitszeitreduktion könnte gesamtwirtschaftlich eventuell sogar kostenneutral sein»
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Trotzdem: Wer finanziert das?
Wir haben in unserem Arbeitspapier vier Möglichkeiten skizziert, wie sich eine Reduktion der Erwerbsarbeitszeit finanzieren liesse. Erstens tatsächlich durch weniger Verdienst, was bedeutet, dass die Arbeitnehmenden weniger Geld für weniger Arbeit erhielten. Zweitens wäre es möglich, trotz reduzierter Arbeitszeit gleich hohe Löhne zu bezahlen. Die Arbeitgeber könnten oder würden in diesem Fall Produkte und Dienstleistungen verteuern. Indirekt würde das zumindest teilweise also auch von den Arbeitnehmenden getragen. Eine dritte Möglichkeit ist, eine Reduktion der Erwerbsarbeitszeit über Steuern zu finanzieren. Dafür müsste man über einen Umbau des Steuersystems diskutieren.
Und die vierte Option?
Sie ist eigentlich die spannendste: Studien zeigen, dass Menschen, welche die Arbeitszeit reduziert haben, zum Beispiel weniger häufig Burn-outs haben. Kürzlich verwies der Gesundheitsdirektor des Kantons Luzern auf die gestiegenen Psychiatriekosten, die in Zusammenhang mit der Belastung am Arbeitsplatz stehen. Dass diese Belastung tatsächlich ein wesentlicher Faktor für Mehrkosten im Gesundheitswesen ist, lässt sich auch dem Job-Stress-Index ablesen: Heute sind rund ein Drittel der fünf Millionen Erwerbstätigen in der Schweiz emotional erschöpft. Es ist also gut denkbar, dass eine generelle Arbeitszeitreduktion in der Schweiz die Kosten für Gesundheitswesen und Arbeitslosenversicherung senken könnte. Eventuell wäre eine Arbeitszeitreduktion unter diesem Gesichtspunkt gesamtwirtschaftlich betrachtet sogar kostenneutral. Das müsste jedoch eingehender untersucht werden.
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«Wir stecken in einer Produktivitätsfalle»
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Würde eine kürzere Erwerbsarbeitszeit nicht die Sozialwerke zerstören?
Tatsächlich hängen die Sozialversicherungen zu 100 Prozent und die Steuereinnahmen der öffentlichen Hand zu 50 Prozent von der Erwerbsarbeit ab. Wir müssen aber auch sehen: Weil Arbeit besteuert wird, ist der technologische Fortschritt darauf ausgerichtet, dass man weniger Arbeit braucht, um ein Produkt herzustellen. Darum fallen immer mehr Arbeitsstellen weg. Gleichzeitig basiert unser Wirtschaftssystem auf der Vollbeschäftigung. Ist diese nicht mehr möglich, fällt unser System zusammen. Anders gesagt: Wir stecken in einer Produktivitätsfalle und müssen uns ohnehin überlegen, ob unser derzeitiges Steuer- und Sozialversicherungssystem noch zeitgemäss ist.
Was schlagen Sie vor?
Statt die Arbeit mit Steuern zu belasten, könnte man Kapitalgewinne und natürliche Ressourcen mehr besteuern. Das würde eine Verlagerung der Erwerbsarbeit in arbeitsintensive Sektoren wie Bildung, Gesundheitswesen, biologische Landwirtschaft oder Kultur begünstigen. Zugleich hätte dies auf ökologischer Ebene einen positiven Effekt, da solche Arbeitsplätze vergleichsweise wenig natürliche Ressourcen brauchen. Und nicht zuletzt würde eine Besteuerung der natürlichen Ressourcen das Verursacherprinzip stärken. Das heisst, wer viel fliegt und Auto fährt, eine grosse Wohnung hat und viel Fleisch isst, würde dafür zur Kasse gebeten. Das ist heute nicht der Fall.
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«Die Ansätze der Green Economy reichen nicht aus»
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Ist die Besteuerung der natürlichen Ressourcen nicht unsozial, zumal sie die tieferen Einkommensschichten überproportional treffen würde?
Die Frage der sozialen Abfederung ist zentral. Unserer Meinung nach lässt sich das über ein Modell realisieren, das die Arbeitszeitverkürzung mit einem abgestuften Lohnausgleich verbindet. So könnten Menschen, die derzeit 42 Stunden arbeiten, aber weniger als den Medianlohn verdienen, künftig bei vollem Lohnausgleich zum Beispiel 30 Stunden arbeiten. Sie hätten gleichviel Einkommen, aber mehr Zeit zur Verfügung. Umgekehrt würden Personen mit hohem Einkommen höchstens einen Teil der Einkommensminderung vergütet erhalten. Sie hätten also ein etwas tieferes Einkommen, aber ebenfalls mehr Zeit. Statistisch ist erwiesen, dass ein höheres Einkommen zu mehr Umweltbelastung führt. So gesehen, würde das auch ökologisch sinnvoll sein. Wichtig ist auch: Lebensqualität misst sich nicht nur an Geld.
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«Die Corona-Krise ist auch ein Gelegenheits-Fenster für Veränderungen»
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Ihre Forderung kommt zu einem Zeitpunkt, in dem die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise sich erst abzeichnen. Muss man nicht erstmal diese Hypothek abbauen, bevor man das ganze System umkrempelt?
Bei der Klimakrise können wir nicht nochmal 30 Jahre warten. Wir müssen jetzt handeln. Mit dem heutigen System ist das jedoch nicht möglich. Auch die Ansätze der Green Economy, die auf mehr Ressourceneffizienz und umweltverträgliche Technologien baut, reichen nicht aus. Wir brauchen grundsätzlich eine andere Art des Wirtschaftens. Die Corona-Krise sehen wir in diesem Zusammenhang als Gelegenheits-Fenster: Wenn man sieht, wie schnell man im Zuge der Pandemie gewisse Paradigmen über den Haufen werfen konnte, dann besteht jetzt die Chance, auch andere Dinge zu ändern. Aber um auf die Frage zu antworten: Wenn Sie mit «Hypothek» Schulden meinen, steckt dahinter auch eine wirtschaftstheoretische Denkweise. In den letzten 20 Jahren wurde stets wiederholt, wir müssten Schulden abbauen. Tatsächlich haben wir in der Schweiz in den letzten Jahren aber Überschüsse in Milliardenhöhe erzielt. Da stellt sich die Frage: Wofür?
Es gab schon etliche Volksinitiativen und Vorstösse im Parlament, die Kapital mehr besteuern, ein garantiertes Mindesteinkommen verankern oder den CO2-Ausstoss belasten wollten. Nichts davon wurde bisher angenommen. Wie wollen Sie die Schweizerinnen und Schweizer davon überzeugen, dass es jetzt einen noch viel grösseren Umbau braucht?
Die Frage ist berechtigt, deshalb skizzieren wir die Vision einer kurzen Vollzeit für alle. Wir zeigen auf, wie man gezielt und in kleinen Schritten zu dieser Vision kommen kann. Gleichzeitig lehrt uns die Geschichte, dass bei Krisen oder im Nachgang davon oft Ideen aufgenommen werden, die verändernd wirken. Die Klimajugend hat etwas in dieser Art geschafft: Dass die Klimakrise kein individuelles Problem ist, das sich allein mit nachhaltigem Konsum bewältigen lässt, sondern ein systemisches Problem darstellt, ist in breiten Bevölkerungsteilen angekommen. Unser Vorschlag, die Erwerbsarbeitszeit zu reduzieren, geht in eine ähnliche Richtung: Er ist ein mögliches Puzzle-Teil, um zu einem insgesamt nachhaltigeren System zu kommen.