Der Verkehrswende entgegen steht aber auch das gängige Grundverständnis der Wörter Strasse und Verkehr. Strasse wird gewöhnlich als Autostrasse, Verkehr als Autoverkehr verstanden. So gibt es die Wörter Strassen- und Verkehrslärm sowie verkehrsberuhigte Strassen. Fussgänger*innen aber lärmen nicht und man muss sie nicht beruhigen. Es wäre also treffender, von Motorenlärm oder von Autolärm zu sprechen, statt von Verkehrslärm. Oder: Stellen Sie sich vor, Sie lesen ein Schild mit der Aufschrift: Strasse gesperrt. Sie verstehen wohl spontan: Sie ist für Autos gesperrt. Eine in diesem Sinn gesperrte Strasse wäre für Fussgänger*innen offen. Treffender wäre also ein Schild: Strasse für Autos gesperrt.
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«Wir sollten uns bewusst werden, wie der gängige Sprachgebrauch uns oft in autofreundliche Perspektiven lenkt»
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Nun kommt es ja auch darauf an, wie häufig und in welchem Zusammenhang ein Begriff verwendet wird. Gibt es da Zahlen?
Ja, zum Beispiel für die sogenannten Wortprofile im «Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS)». Hier kann man sogenannte Kollokationen abfragen, also erfahren, welche Wörter statistisch häufig in Verbindung mit bestimmten anderen vorkommen. Da stellt sich zum Beispiel heraus, dass das Wort Fussgänger in grossen Zeitungskorpora statistisch am häufigsten mit den Verben anfahren, überfahren, erfassen und übersehen vorkommt. Das bedeutet, dass in Zeitungen oft zu lesen ist, dass Fussgänger*innen angefahren, überfahren, erfasst und übersehen werden. Daraus können Sie ablesen, dass Zufussgehende offenbar eine Personengruppe darstellen, die durch Fahrzeuge gefährdet sind – ein Umstand, den man mit der Verkehrswende gern ändern würde.
Was schlagen Sie konkret vor?
Ein erster Schritt ist, dass wir uns bewusst werden, wie der gängige Sprachgebrauch uns oft in autofreundliche Perspektiven lenkt. Neue Wörter wie Wohnstrasse oder Velostrasse wirken dem erwähnten Strassenverständnis entgegen. Auch Wörter wie Strassenmarkt und Strassentheater zeigen, dass eine Strasse mehr als ein Transitraum für Autos sein kann.
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«Für die Verkehrswende könnte man in bestimmten Fällen den Spiess gedanklich umdrehen»
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Gibt es weitere Beispiele, wie sich die Verkehrswende sprachlich unterstützen lässt?
Wir haben entdeckt, dass viele auto-abgewandte Räume heute als Zonen bezeichnet werden. So gibt es autofreie Zonen, Fussgänger-, Begegnungs- und Tempo-30-Zonen. Diese Zonen bilden offenbar klar begrenzte und speziell eingerichtete Ausnahmeräume, also Entschleunigungsinseln innerhalb der Autowelt. Man könnte nun von diesem Umstand für die Verkehrswende profitieren, indem man in bestimmten Fällen den Spiess gedanklich umdreht und damit beginnt, Autobahnen, Hochleistungsstrassen etc. als Autozonen zu bezeichnen. So würde man signalisieren, dass man den öffentlichen Raum nicht selbstverständlich den Autos übergibt und man Autozonen als Inseln in einer autolosen Welt sehen kann.
In Ihren Arbeiten fordern Sie unter anderem dazu auf, von Fussmobilität statt Fussverkehr zu sprechen. Was bringt das?
Vorsicht: Wir fordern niemanden auf. Wir laden Menschen nur dazu ein, diese oder jene Wortwahl zu bedenken und dann zu entscheiden, wie sie sprechen wollen. Das Wort Fussverkehr ist relativ jung, etwa 30 Jahre. Es wirkt noch etwas behördensprachlich und ist im Alltag noch nicht ganz angekommen. Es hat den grossen Vorteil, dass es Autofahren und Zufussgehen vergleichbar macht. Umgekehrt hat das Wort Fussverkehr den Nachteil, dass es die Zufussgehenden in die Wassermetaphorik aufnimmt, die für den Autoverkehr gilt. Da sprechen wir von Staus, von Umleitungen, von Verkehrsinseln, von einem Tropfenzählersystem am Gotthard, von Verkehr, der in die Wohnquartiere einsickert etc. Spricht man nun in der Verkehrsplanung von Fussgänger- oder Passantenströmen, so werden die Zufussgehenden in gesichtslose Wasserpartikel verwandelt, die – zumindest metaphorisch – geleitet werden müssen.
Das Wort Fussmobilität hingegen eröffnet einen ganz anderen Frame. Mobilität erschliesst das Unterwegssein vom Individuum her. Deshalb verbinden wir Mobilität auch so leicht mit Freiheit. Verkehr dagegen nicht. Es lohnt sich also, von Fall zu Fall zu prüfen, ob man von Fussverkehr oder Fussmobilität sprechen will.