Klimawandel: Gymnasiast*innen üben sich als «Change Agents»

Wie geht Klimapolitik? Gerade jüngere Menschen sind davon besonders betroffen – aber von der Komplexität des Themas und den politischen Prozessen oft überwältigt. Im April waren wir am Gymnasium Lerbermatt in Köniz, um mit den Schüler*innen daran etwas zu ändern. Auch Berner Politiker zogen mit.

Podiumsdiskussion Gymnasium Lerbermatt
Die Podiumsdiskussion mit bernischen Politikern am Gymnasium Lerbermatt setzte den Schlusspunkt einer Projektwoche zur Klimapolitik. Foto: Yasemin Tutav


Text: Helen Pérez

«Ablehnen!» ruft Bruno, ein Vertreter der Landwirtschaft, aus einer Ecke. «Annehmen!», erwidert Remko, Vertreter einer Umwelt-NGO. Nachdem die Moderatorin die Massnahme zur Förderung von Technologien zur CO2-Abscheidung und -Speicherung erklärt hat, füllt sich der Raum mit Bewegung und die Schüler*innen fangen an, in verschiedenen Gruppen zu diskutieren. Denn Bruno und Remko heissen in Wahrheit anders und haben nur eine Rolle gespielt, die ihnen zugewiesen wurde – wie ihre Klassen-Kamerad*innen auch.

Kontroverse und Kompromisse

Während einer Projektwoche am Gymnasium Lerbermatt setzten sich die Schüler*innen einer Gym1-Klasse mit der Schweizer Klimapolitik auseinander, spielerisch und interaktiv. Als Einstieg erhielten sie Einführungen in Nachhaltige Entwicklung, die Auswirkungen des Klimawandels und die Prozesse der schweizerischen Politik.

Gymnasiast*innen bereiten sich aufs Rollenspiel vor
Gymnasiast*innen bereiten sich aufs Rollenspiel vor. Foto: Camilla Steinböck


An zwei Halbtagen hiess es dann: Klimaspiel (siehe Box am Schluss). Dabei übernahmen die 15- bis 16-Jährigen bestimmte Rollen aus verschieden Wirtschafts- und zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie politischen Parteien, deren Interessen sie bei den Verhandlungen über mögliche Massnahmen eines fiktiven Klimagesetzes vertreten mussten. In den angeregten und kontroversen Diskussionen – zuerst in Gruppen, dann im Plenum – trafen unterschiedliche Argumente aufeinander, viele davon sehr faktenbasiert. Manchmal aber drang die reine Interessensvertretung durch. So begründete ein Schüler in der Rolle einer politischen Partei seine Position mit den Worten: «Ich nehme die Massnahme an, denn sie bringt Geld».

Am Ende des Rollenspiels hatten sich die «Vertreter*innen» in ihren Rollen auf einen fiktiven Gesetzesentwurf mit einer Reihe von Massnahmen geeinigt, der sich sehr gut auf den Klimaschutz, die soziale Gerechtigkeit, das Wohlstands- und Erfolgsmodell der Schweiz sowie den Innovationsstandort Schweiz auswirkte.

Logo des Spiels
Logo des Spiels. Illustration: Zeilenwerk

Spielerisch lernen, mit Herausforderungen umzugehen

Das Klimaspiel ist Teil des Projekts Game Changers for Change Agents (ChaCha) vom Centre for Development and Environment (CDE) der Universität Bern und Science et Cité. Dessen Ziel ist es, die Nachhaltigkeits-Herausforderungen und die damit verbundenen Zielkonflikte zu entschlüsseln – insbesondere für die jüngere Generation. Denn diese beteiligt sich am wenigsten bei Wahlen und Abstimmungen, ist aber gleichzeitig am stärksten von einer nicht-nachhaltigen Entwicklung betroffen. Das Klimaspiel soll Schüler*innen auf Sekundarstufe II dabei helfen, die komplexen politischen Prozesse besser zu verstehen, indem sie sich spielerisch in die Rolle verschiedener politischer Akteure versetzen.

Diskussion über Klimawandel
Die Schüler*innen diskutieren mit Noemi Imfeld, Klimatologin an der Universität Bern, über den Klimawandel. Foto: Michela Colangelo

Rollenspiel – «ein gutes Instrument»

War das in der Lerbermatt auch wirklich der Fall? In den Reflexions-Runden gaben die Schüler*innen an, dass sie sich meistens gut in ihre Rollen versetzen und die damit verbundenen Interessen vertreten konnten. In den Rückmeldungen erwies sich allerdings auch, dass das Spiel unterschiedliche Emotionen ausgelöst hat. Einige waren frustriert darüber, «dass wirtschaftliche Interessen immer noch höher gewichtet werden als die Klimaziele», wie es eine Schülerin auf den Punkt brachte. Andere hingegen fühlten sich durch den Lernprozess und das Rollenspiel dazu befähigt, punkto Klimawandel tatsächlich etwas bewirken zu können.

Der Geschichtslehrer der Klasse seinerseits empfand das Rollenspiel als gutes Instrument, um den Schüler*innen die Gesetzgebungsprozesse und die Interessen der verschiedenen betroffenen Akteure vertieft näherzubringen.

Einige Reaktionen aus der Klasse. Illustrationen aus dem Spiel by Zeilenwerk.

Spiegelbild der Politik?

Doch mit dem Spiel und der Reflexion war noch nicht Schluss. Nach dem Austausch innerhalb der Klasse konnten die Schüler*innen Fragen an eine Klimaforscherin, Masterstudentinnen und, zu guter Letzt, in einer öffentlichen Podiumsdiskussion an drei Politiker stellen: an SVP-Grossrat Patrick Freudiger, SP-Grossrat David Stämpfli und EVP-Nationalrat Marc Jost.

In Bezug auf die Ziele der schweizerischen Energiepolitik und deren Zukunft zeigten sich alle drei Politiker optimistisch, wenngleich in unterschiedlichem Mass. Einig waren sie sich darin, dass die erneuerbaren Energien gefördert werden müssen – und, so die beiden Grossräte, dass die Schweiz bis 2050 unabhängig von ausländischer Energie sein müsse.

Die Klasse nutzte die Gelegenheit, persönliche, klimapolitische und allgemeine Fragen an die drei Parteien-Vertreter zu richten. Etwa: «Wie wirksam sind Klimademonstrationen?» Anliegen würden sie sich gerne anhören, so die Antwort der Politiker. «Illegale Methoden sind aber nicht die Art, wie man politisch zum Erfolg kommt», unterstrich Patrick Freudiger. Und David Stämpfli sagte: «Wenn es sich nicht mehr um Demonstrationen handelt, sondern Personen sich zum Beispiel vor dem Gotthard auf den Boden kleben, so glaube ich, dass das die Menschen nur verärgert.»

Podiumsdiskussion
Kontroverse und intensive Podiumsdiskussionen mit bernischen Politikern. Foto: Camilla Steinböck

«Es liegt noch sehr viel Arbeit vor uns»

Eine längere Diskussion entspann sich auch bei der Frage, wie optimistisch die Politiker die Zukunft ihrer Kinder einschätzten. Dabei erinnerte sich Marc Jost an seine Kindheit und erklärte, jede Generation sei zu ihrer Zeit mit Krisen konfrontiert gewesen; Hoffnung sei hier das wichtige Stichwort. Es brauche aber zusätzliche Investitionen in internationale Klimamassnahmen. «Wir und besonders ihr könnt die Zukunft gestalten.»

Auch Patrick Freudiger fand, «man sollte die Hoffnung nicht aufgeben», zumal beispielsweise der CO2-Ausstoss in der Schweiz seit 1990 abgenommen habe. Nur David Stämpfli schlug einen kritischeren Ton an. Man habe in der Politik zwar schon einiges erreicht. «Aber es liegt noch sehr viel Arbeit vor uns.»

Abstimmung folgt

Zum Abschluss stellte die Klasse drei Massnahmen aus dem Spiel vor, über die das Publikum – mehrere Parallelklassen und Lehrpersonen – abstimmen konnten. Darunter eine mit dem Titel «Zum Erhalt von Polar brauchen wir Solar!». Ein Thema, das laut David Stämpfli auch im Grossen Rat für Diskussionen sorgt. Denn dieser behandelt zurzeit eine ähnliche Initiative. Die drei Massnahmen zum Klimaschutz nahm das Publikum übrigens mit klaren Mehrheiten an.

«Diese Projektwoche bleibt den Schüler*innen wahrscheinlich noch länger in Erinnerung», meinte die Englischlehrerin der Klasse.

Klimaspiel

Klimaspiel

Das Klimaspiel und die Unterlagen dazu finden sich auf der Projekt-Website des CDE. Die nächste Projektwoche findet im Mai 2024 in Luzern statt.