Verantwortung an Konsument*innen delegiert
Trotz alledem: In den geltenden Einfuhrbestimmungen von Meeresfischerei-Erzeugnissen gibt es in der Schweiz bloss eine Verordnung, die diese Negativspirale etwas bremsen könnte: Seit März 2017 müssen die Importprodukte aus «rechtmässiger Herkunft» stammen. Die Verantwortung dafür, was auf den Tellern landet, wird ansonsten an die Konsument*innen delegiert. Wie aber können diese einschätzen, was sie essen? Die wichtigste Rolle dabei spielt der Begriff «aus nachhaltiger Produktion».
Machen wir uns also auf die Suche nach nachhaltig produziertem Fisch. Unser erster Anker: die Versprechen des Detailhandels. So heisst es bei einem der grössten Händler der Schweiz: «Ohne Bedenken einkaufen: Bei uns können Sie guten Gewissens zu Fisch greifen.» Genauso wie bei der Konkurrenz verweist man dabei gerne auf Bio-zertifizierte Aquakulturen, das Prädikat «regionale Produktion» oder das bekannteste und grösste Label für Meeresfisch aus Wildfang: jenes des Marine Stewardship Council MSC.
Die Labels und der WWF
Damit landen wir im Hafen des WWF an. Ursprünglich Mitbegründer des MSC-Labels und dessen Pendant ASC für Fische und Meeresfrüchte aus Aquakulturen, hat sich die Umweltorganisation als eine der ersten im «nachhaltigen» Fischgeschäft positioniert. Inzwischen sind beide Labels unabhängig. Der WWF seinerseits tritt heute als Partner von Produzenten und Detailhandel auf, gleichzeitig fungiert er als Herausgeber des Ratgebers «Fische & Meeresfrüchte» für Konsument*innen. «Sein Einfluss punkto nachhaltigem Fisch ist in der Schweizer Fachwelt unbestritten», sagt denn Nachhaltigkeitsexperte und Branchenkenner Urs Baumgartner.
Allerdings merkt er an: Indem der WWF nur eine begrenzte Zahl an Fischlabels fördere – nebst Bio und ASC für Zuchtfische sowie MSC für Wildfang aus dem Meer – und seine Partner dazu ermutige, den Anteil an gelabelten Fischerzeugnissen jährlich zu erhöhen, trage die Organisation zur Verdrängung aller anderen Fischlabels und -produkten bei – «unabhängig davon, ob sie nachhaltig sind oder nicht.»
Die Konsumentin, die mit allen möglichen Labels ohnehin überfordert ist, mag das erleichtern. Aber wie steht’s mit der Nachhaltigkeit? Gleich vorneweg: Es ist komplex.
Belabelte Nachhaltigkeit mit Schlagseite
Wie sich nachhaltiger von nicht-nachhaltigem Fisch abgrenzen lässt, untersuchten Urs Baumgartner von ekolibrium und Elisabeth Bürgi Bonanomi, CDE-Expertin für Handel und nachhaltige Entwicklung, in einer entsprechenden Studie (siehe am Ende des Textes). Bezogen auf MSC und ASC bilanziert Baumgartner: «Beide Labels beziehen sich auf die ökologische Nachhaltigkeit und das nur sehr limitiert. Zum Beispiel wird die Klimabilanz vollständig ignoriert, während Biodiversitätsschutz ‘stiefmütterlich’ behandelt wird. Desgleichen werden die ökonomischen und sozialen Auswirkungen von Wildfang und in der Aquakulturproduktion mehrheitlich ausgeblendet.»
Kurz: Die belabelte Interpretation von Nachhaltigkeit hat ziemlich Schlagseite. Das widerspiegelt sich im Detailhandel. Die Frage «Was ist nachhaltiger Fischfang?» beantwortet die Migros heute auf ihrer Website abschliessend so: