Umfrage: Schweizer Milchmarktsystem erntet bei der Basis Kritik

Immer mehr Schweizer Landwirtinnen und Landwirte geben die Milchproduktion auf. Hauptgrund: Viele Betriebe können mit den aktuellen Milchpreisen nicht mehr rentabel produzieren. Eine neue umfassende Studie des Centre for Development and Environment (CDE) der Universität Bern zeigt, wie die Basis der Branche die Herausforderungen und Mechanismen des Milchmarkts wahrnimmt – und welche Kritik sie daran übt.

Kühe im Stall
Photo: Creative Commons CC0


Bern, 21. Januar 2025

Mit einem Wert von rund 2,8 Milliarden Franken und über drei Millionen Tonnen Milch für den Lebensmittelmarkt ist der Milchsektor eine Schlüsselbranche der Schweizer Landwirtschaft. Gleichzeitig werfen immer mehr Milchbetriebe das Handtuch: Zwischen 2008/2009 und 2022 sank ihre Zahl um 35 Prozent.

Da die Zufriedenheit der Milchproduzentinnen und -produzenten sowie existenzsichernde Perspektiven für ihre Betriebe zentrale Voraussetzungen für eine nachhaltige und zukunftsfähige Milchwirtschaft sind, haben Wissenschaftlerinnen des CDE erhoben, wie diese den Schweizer Milchmarkt beurteilen und welche Zukunftsperspektiven sich daraus ableiten lassen. Dabei zeigt sich ein ambivalentes Bild – wobei kritische Einschätzungen teils deutlich überwiegen.

Milchbauern im Fokus: Umfrage zur Entwicklung des Milchmarkts und Abnahmebedingungen

Die Studie stützt sich auf eine Umfrage unter 17’000 Milchproduzentinnen und -produzenten, die zwischen Oktober und Dezember 2022 durchgeführt wurde – zu einer Zeit, als der Produzentenmilchpreis den höchsten Stand seit 2009 erreicht hatte. Rund 15 Prozent der Befragten haben die Umfrage vollständig ausgefüllt. Neben der Bewertung des Milchmarktsystems, einschliesslich Abnahmebedingungen, wurden auch die Zukunftspläne der Betriebe beleuchtet.

«Um einen detaillierten Einblick zu erhalten, sind unter anderem auch Betriebsdaten, Produktionsmethoden, Jahresmilchmenge, Erstmilchkäufer und die Zugehörigkeit zur jeweiligen Sortenorganisation in die Studie eingeflossen», erklärt Projektleiterin Bettina Scharrer vom CDE.

Grafik Zufriedenheit mit Milchmarkt

Milchpreis kann mit Produktionskosten oft nicht Schritt halten

Die Umfrageergebnisse zeigen, dass es massgeblich der Milchpreis ist, der die Zufriedenheit der Landwirtinnen und Landwirte mit der Entwicklung des Milchmarktes und den Abnahmebedingungen beeinflusst. Viele von ihnen beurteilen den Produzentenpreis als zu niedrig, um mit der Teuerung Schritt zu halten. Das führt dazu, dass gestiegene Produktionskosten oft nicht gedeckt werden können und der Arbeitsverdienst im Verhältnis zum Aufwand als zu gering eingeschätzt wird.

Dabei ist zu beachten, dass sich regionale Unterschiede auf diese Beurteilung niederschlagen. So sind etwa Betriebe in der Bergzone mit der Entwicklung weniger zufrieden als in der Talzone, was sich teils mit erschwerten Produktionsbedingungen und einem tieferen Arbeitsverdienst erklären lässt.

Milchsegmentierung wird mehrheitlich abgelehnt

Der zweite grosse Kritikpunkt gilt der 2011 eingeführte Milchsegmentierung, die für die Preisbildung massgebend ist und im teilliberalisierten Milchmarkt die Preise stabilisieren soll: Die Milch wird den Segmenten A, B und C mit drei unterschiedlichen Preiskategorien zugeteilt. Dabei ist das Endprodukt entscheidend, in welches Segment die ablieferte Milch fliesst. Im A-Segment sind Milchprodukte mit Grenzschutz für den Inlandmarkt wie Trinkmilch und Hartkäse sowie Produkte, die beim Export mit einem Fonds für Rohstoffverbilligung gestützt werden. Im B-Segment sind Produkte ohne Grenzschutz und ohne Stützung für den Inlandmarkt sowie für den Export in die EU, beispielsweise Milchmischgetränke. Das C-Segment mit den tiefsten Preisen wird seit 2018 nicht mehr genutzt. Das heisst: Milchproduzierende erhalten für die Milch derselben Qualität zwei unterschiedliche Preise.

Das stösst bei vielen Produzierenden auf Unverständnis und entsprechend negativ beurteilen sie die Segmentierung: Rund 60 Prozent der Befragten lehnen diese eher oder ganz ab, weil sie die Einteilung als intransparent und ungerecht empfinden. «Zudem sehen sie die Segmentierung als Instrument, um Milch zu Gunsten des Verarbeitungssektors und Handels zu verbilligen und äussern Bedenken punkto der ungleichen Marktmachtverhältnisse», so Bettina Scharrer.

Grafik Zustimmung zur Milchsegmentierung

Mehr Dialog auf Augenhöhe

«Unsere Umfrage macht deutlich, dass aus Sicht der Milchproduzierenden Verbesserungsbedarf besteht», sagt die Forscherin. Obwohl die Resultate eine Momentaufnahme wiedergeben, hätten sie nichts an Aktualität eingebüsst. «2024 haben verschiedene Bauernproteste gezeigt, dass nicht nur bessere Preise gefordert werden, sondern auch ein Dialog auf Augenhöhe, geringerer Administrationsaufwand und mehr Planungssicherheit.»

Deshalb empfehle es sich, den Dialog mit den Milchproduzierenden insgesamt zu verbessern, auch mit Blick auf die Milchsegmentierung. «Hier sollten Sinn und Funktionsweise verständlicher gemacht und auf politischer Ebene die Bedürfnisse der Produzentenbasis in den kommenden Diskussionen stärker berücksichtigt werden.»

«Win-win-Situation schaffen»

Um auch gesellschaftlich und ökologisch geschätzten Praktiken Rechnung zu tragen, ist es laut Bettina Scharrer unerlässlich, eine Win-win-Situation zu schaffen, die sowohl eine höhere Zufriedenheit bei den Milchbetrieben als auch die Nachhaltigkeit fördert. «Es wäre zum Beispiel sinnvoll, auf politischer Ebene jene Anreize abzubauen, die eine starke Intensivierung der Milchwirtschaft Richtung High-Input-Produktion ohne ausreichende eigene Futterbasis begünstigen.» Das würde dem Ziel einer standortgerechten, graslandbasierten Milchproduktion zugutekommen. Gleichzeitig gelte es, sicherzustellen, dass Massnahmen und Abnahmebedingungen nicht zulasten bereits nachhaltig wirtschaftender Betriebe wirken.

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Communiqué de presse et étude en français

Etude: Le secteur laitier suisse du point de vue des producteurs de lait

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Angaben zur Publikation

Scharrer B, Heiss C, Lüthi F, (2025): Der Schweizer Milchsektors aus Sicht der Milchproduzenten. Umfrageergebnisse der Befragung Schweizer Milchproduzenten zu deren Bewertung der Funktionsweise des Schweizer Milchmarktes und zu deren Betriebszukunftsplänen, Bern, Centre for Development and Environment (CDE), mit Open Publishing (BOP).

Kontakt

Bettina Scharrer, Centre for Development and Environment, Universität Bern
bettina.scharrer@unibe.ch
+41 31 684 55 21