Biodiversität: «Wir dürfen den fortschreitenden Verlust nicht einfach hinnehmen»

Wie lassen sich Landwirt*innen motivieren, die Biodiversität mehr zu fördern? In einer neuen, noch unpublizierten Studie hat Mara Häusler vom CDE untersucht, ob landwirtschaftliche Betriebe in der Schweiz mehr, qualitativ bessere oder vielfältigere Flächen für die Biodiversität einrichten würden, wenn sie besser informiert wären, wie sich die Artenvielfalt auf ihren eigenen Feldern entwickelt.

Mara Häusler
«Je früher und bestimmter wir handeln, desto eher können wir die Herausforderungen der Biodiversitätskrise stemmen»: Mara Häusler.Foto: CDE


Interview: Gaby Allheilig

Es gibt in der Schweiz einen breiten wissenschaftlichen Konsens, dass wir dringend handeln müssen, um der Biodiversitätskrise zu begegnen. Sie haben untersucht, wie Informationen über die Artenvielfalt auf ihren Feldern die Motivation von Bäuerinnen und Bauern beeinflussen, sich für Umweltschutz in der Landwirtschaft zu engagieren. Was bringt diese Fragestellung?

Momentan werden Landwirt*innen für sogenannte Biodiversitätsförderflächen und andere Massnahmen primär monetär entschädigt und es werden auch regulatorische Ansätze verwendet. Das ist bereits ein guter Mix verschiedener Ansätze. In der wissenschaftlichen Literatur wird dieser «Policy Mix» oft durch einen dritten Ansatz ergänzt: Informations- und Motivationsinstrumente. Genau diese wollten wir mit unserer Studie testen, um alle drei Möglichkeiten auszuschöpfen.

In Ihrer Studie haben Sie den Landwirt*innen hypothetische Daten geliefert, wie sich die Artenvielfalt auf ihren Feldern entwickelt hat. Wieso sollen noch mehr Daten die Einstellung verändern?

Es sind bereits viele Faktoren bekannt, warum Landwirt*innen motiviert sind, Flächen für ein Biodiversitätsförderprogramm anzumelden. Studien haben zum Beispiel gezeigt, dass es wichtig ist, dass sie solche Programme für sinnvoll erachten oder dass die Wirkung der Programme für sie selbst sichtbar ist. Auch dass bereits geleistete Bemühungen bekannt gemacht werden, kann das Vertrauen steigern und motivierend wirken. Daraus haben wir geschlossen, dass Daten zum Stand der Artenvielfalt auf den jeweiligen Betrieben allenfalls verschiedene Motivationen triggern könnten, damit die Landwirt*innen noch mehr für die Biodiversität tun. Ausserdem wollten wir wissen, wie sie auf eine Abnahme der Artenvielfalt auf ihren Feldern reagieren würden; ob dies eher einen negativen oder einen positiven Effekt hätte.

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«Allgemeine Aussagen über Landwirt*innen zu machen, ist fast unmöglich»

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Daten für einzelne Landwirtschaftsbetriebe werden heute noch gar nicht erhoben.

Genau, aber es ging uns unter anderen auch darum herauszufinden, ob es sich lohnen würde, solche Daten zu erheben, um die Biodiversität zu verbessern. Wir streben mit der Studie an, die vorhandenen Anreize zu ergänzen, keinesfalls zu ersetzen. Denn es ist wichtig, das Problem von möglichst vielen Seiten her anzugehen.

Sie haben eine Umfrage durchgeführt und 500 vollständige Antworten erhalten. Wie hoch ist nun die Motivation der Teilnehmenden, generell mehr Biodiversität «zu produzieren»?

Landwirt*innen haben sehr verschiedene Hintergründe, befinden sich in unterschiedlichen Situationen und sind unterschiedlich motiviert. Bei dieser Heterogenität generell von Landwirt*innen zu sprechen und allgemeine Aussagen zu machen, ist fast unmöglich. Das hat sich auch in unserer Untersuchung gezeigt. Was wir aber aufgrund der Umfrageresultate gesehen haben: Tendenziell sind die Teilnehmenden eher motiviert, ihre Flächen qualitativ zu verbessern oder besser zu vernetzen, als quantitativ mehr Land als Biodiversitätsförderflächen anzumelden, wenn sie über Veränderungen bei der Artenvielfalt informiert würden.

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«Die Daten scheinen je nach Adressatengruppe eine andere Wirkung zu haben»

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Sie sagen, Sie hätten sehr unterschiedliche Antworten erhalten. Was heisst das genau?

Wir haben die Antwortenden unter anderem nach den folgenden Kriterien in zwei Gruppen eingeteilt: Wie viel an Biodiversitätsförderflächen sie schon angemeldet haben, welche Qualität diese aufweisen und unter welcher Produktionsmethode sie arbeiten. Jene, die dem Thema Biodiversität tendenziell näherstehen, wären eher motiviert, Gegensteuer zu geben, sollte sich die Biodiversität auf ihren Feldern in den letzten zehn Jahren verschlechtert haben…

… als jene, die weniger für die Biodiversität tun?

Es ist leider nicht so, dass die Daten diese Gruppe stark motivieren würde, mehr, qualitativ bessere oder vernetzte Flächen anzumelden. Somit scheinen die Daten je nach Adressatengruppe eine andere Wirkung zu haben.

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«Wir wollten vor allem die Reaktionen auf verschiedene Szenarien vergleichen »

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Sie sind nicht von einem realen Szenario ausgegangen, sondern von einer hypothetischen Veränderung. Lässt sich das überhaupt in die reale Welt übertragen?

Das ist ein wichtiger Punkt, in der wissenschaftlichen Literatur spricht man dabei von der hypothetischen Verzerrung. Es ist bekannt, dass es eine Lücke gibt zwischen dem, was die Befragten angeben und dem, wie sie tatsächlich handeln würden. Aber es gibt Techniken, wie sich diese Lücke verkleinern lässt. So haben wir für unsere Studie die Teilnehmenden darauf aufmerksam gemacht, dass wir auf wahrheitsgetreue Angaben angewiesen sind und es sehr wichtig ist, dass sie sich so gut wie möglich in die beschriebene Situation hineinversetzen.

Zudem ging es uns auch darum, die Reaktionen der beiden Gruppen auf verschiedene Szenarien miteinander zu vergleichen. Wenn es denn eine Verzerrung geben sollte, würde diese alle Szenarien betreffen – nicht aber den Vergleich.

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«Sie würden sehr wahrscheinlich nicht von den Biodiversitätsprogrammen abspringen, wenn sich die Artenvielfalt verändert »

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Schliessen Sie aus den Resultaten nun, dass sich bei der Motivation von Landwirt*innen zugunsten der Biodiversität wenig verändern wird, wenn man ihnen massgeschneiderte Daten liefert?

Eine Studie allein reicht nicht aus, um das pauschal zu verwerfen. Unsere Studie ist die erste, die Landwirt*innen mit einer hypothetischen Veränderung der Artenvielfalt auf ihren Feldern konfrontiert und fragt, was das bei ihnen auslösen würde. Es wird dazu weitere Untersuchungen brauchen, auch mit einem anderen Studiendesign. Wichtig scheint mir an unseren Ergebnissen, dass Landwirt*innen sehr wahrscheinlich nicht von den Biodiversitätsprogrammen abspringen würden, wenn sie erführen, dass bei ihnen die Artenvielfalt zu- oder abgenommen hat.

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«Wir sind nicht nur Verursacher dieser Krise, sondern werden damit auch umgehen müssen»

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Und bezogen auf die Situation der Biodiversität in der Schweiz: Heisst das unter dem Strich «weiter wie bisher», zumal die Mehrheit der Bundespolitiker*innen derzeit nicht willens ist, die Biodiversitätskrise wirklich anzugehen?

Nein, wir sollten keinesfalls einfach weitermachen wie bisher. Fast die Hälfte aller Lebensraumtypen und mehr als ein Drittel aller Arten sind in der Schweiz bedroht. Die Biodiversität ist ein so wertvolles Gut, dass wir den fortschreitenden Verlust nicht einfach so hinnehmen dürfen. Mit jeder Art, die verschwindet, verlieren wir eine individuelle Lebensform, die sich nicht ersetzen lässt. Und wir Menschen sind nicht nur die Verursacher dieser Krise, sondern auch jene, die mit dieser Krise umgehen werden müssen. Je früher und bestimmter wir handeln, desto eher können wir diese Herausforderung stemmen.